Die Vorteile einer Geschäftsarchitektur

Eine Geschäftsarchitektur beschreibt, was, warum, wann und wie ein Unternehmen etwas tut und welche Hilfsmittel es dazu verwendet. Markus Schacher erklärt, wieso das für Unternehmen von grossem Nutzen ist.

Autor Markus Schacher
Datum 10.11.2020
Lesezeit 13 Minuten

Ein zentraler Aspekt einer Unternehmensarchitektur ist die Inventarisierung wichtiger Assets. In diesem Artikel möchte ich auf die Beschreibung des Geschäfts eines Unternehmens eingehen und daran den Nutzen einer digitalen Geschäftsarchitektur aufzeigen.

Modelle der Geschäftsarchitektur lassen sich für vielfältige Fragestellungen verwenden.

Zum Beispiel solche, die das Verständnis über das Unternehmen fördern und daher eine Entscheidungsfindung unterstützen:

  • Wohin wollen wir mit dem Unternehmen entwickeln und warum?
  • Wie kommen wir dorthin?
  • Was tut wer im Unternehmen und womit?
  • Was wäre, wenn Abteilung X geschlossen würde?
  • Welche Alternativen haben wir zu unserem Produkt Y?

Zum Beispiel für Fragestellungen, die Verhaltensvorgaben für Personal und Partner machen:

  • Wer ist für ein bestimmtes Produkt oder eine bestimmte Aufgabe verantwortlich?
  • Auf welchem Markt über welchen Kanal wird welches Produkt angeboten?
  • Wie sind welche Kunden anzugehen und wie sind entsprechende Offerten zu gestalten?    
  • Welche Angebotsvarianten und Produktoptionen sind zulässig?
  • Welchen Verbindlichkeiten müssen wir wem gegenüber nachkommen?
  • Wie wird welches Personal gesucht und welche Führungskultur haben wir?

Metamodell für Geschäftszusammenhänge

In der Essenz jedes ökonomischen Geschäfts geht es darum, dass zwei Parteien untereinander Werte austauschen um sich individuell weiterzuentwickeln. Etwas genauer betrachtet geht es bei der Beschreibung des Geschäfts eines Unternehmens darum, festzuhalten, wer im Unternehmen wo welchen Wert für wen warum wie und womit schafft. 

Daraus ergeben sich 6 Kernentitäten:

  1. Wer/für wen: Partei (Person, Organisation)
  2. Wo: Ort (physischer Ort, virtueller Ort)
  3. Was: Wert (Dienstleistung, Produkt)
  4. Warum: Zweck (Ziel, Rahmenbedingung)
  5. Wie: Prinzip (Strategie, Taktik, Regel)
  6. Womit: Fähigkeit (Eine Kombination von Ressourcen wie Material, Maschinen, Personen, Organisationen, Kapazitäten, Know-how, Informationen, etc.)

Diese sechs Kernentitäten lassen sich durch eine erste Metamodellskizze ausbilden.

Modell: KnowGravity

Neben den initial aufgeführten sechs Kernentitäten sind in dieser Skizze noch zwei weitere aufgetaucht: Produktion und Nutzung. Sie repräsentieren Tätigkeiten um Werte zu schaffen oder Werte zu nutzen und werden üblicherweise als Geschäftsprozesse als Teil der Wertschöpfungskette eines Unternehmens betrachtet.

CAS-Lehrgang «IT Architecture»

Haben wir Ihr Interesse an den neuen CAS-Lehrgängen «IT Architecture» geweckt? Dann besuchen Sie die Informationsveranstaltung, um mehr über darüber  zu erfahren oder melden Sie sich direkt für einen der folgende CAS-Lehrgänge mit Spezialisierung an:

Haben wir Ihr Interesse an den neuen CAS-Lehrgängen «IT Architecture» geweckt? Dann besuchen Sie die Informationsveranstaltung, um mehr über darüber  zu erfahren oder melden Sie sich direkt für einen der folgende CAS-Lehrgänge mit Spezialisierung an:

Wertstromanalyse

Zentrales Element des oben skizzierten Metamodells sind die Werte, die ein Unternehmen schafft, aber auch benötigt. Werte zu schaffen ist normalerweise ein mehrstufiger Vorgang, der als Wertstrom bezeichnet wird und unter anderem bei TOGAF eine wichtige Rolle in der Geschäftsanalyse spielt (siehe auch 1 und 2).

Ein Wertstrom ist ein top-level end-to-end Prozess, in dem in mehreren Schritten Wert für einen Nutzer kreiert wird (auch Wertschöpfung genannt). Der Nutzer dieses Werts kann sowohl für die Organisation extern sein (z.B. die Kunden einer Firma) als auch intern (z.B. eine andere Organisationseinheit innerhalb einer Firma). An einer solchen Wertschöpfung sind normalerweise mehrere Ausführende beteiligt, welche dazu erforderliche Fähigkeiten (auch Capabilities genannt) aufweisen müssen sowie technische Hilfsmittel und Ressourcen benötigen.

Ein kleines Beispiel:

Die Firma EU-Rent vermietet Autos und ist in ganz Europa tätig. Ihre Kernwertschöpfung lässt sich durch folgenden Wertstrom beschreiben:

Skizze: KnowGravity

Falls eine Ausdetallierung solcher Wertströme sinnvoll ist, so lassen sich dazu allgemein bekannte Modellierungssprachen wie z.B. BPMN (Business Process Metamodel and Notation) 3 verwenden, auf die hier aber nicht weiter eingegangen werden soll.

Für die erfolgreiche Ausführung dieser Schritte werden nun verschiedene Capabilities und Ressourcen benötigt:

Angebot publizieren 

Es muss ein Marketing-Kanal zur Verfügung stehen, mit dem sich potentielle Kunden erreichen lassen, was wiederum geeignetes Marketing Know-how erfordert. In unserem Fall ist der Marketing-Kanal das Web, d.h. es wird ein geeignetes Web-Frontend zur Reservation und Buchung von Fahrzeugen im Self-Service-Modus benötigt.

Vertrag abschliessen

Es wird ein Vertrags-Management benötigt, d.h. einerseits das juristische Know-how und andererseits eine revisionsfähige Vertragsablage.

Mietwagen bereitstellen

Ohne Fahrzeuge keine Vermietungen, d.h. es ist ein umfangreicher, vielseitiger Fahrzeugpark erforderlich, sodass die benötigten Fahrzeuge immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort im richtigen Zustand bereitgestellt werden können. Dies beinhaltet auch die Fahrzeug-Instandhaltung und ist ganz bestimmt eine nicht-triviale Capability sowie eine sehr kostspielige Ressource!

Mietkosten verrechnen

Um schliesslich auch für das Unternehmen einen monetären Wert zu schaffen, ist das entsprechende Finanz-Know-how sowie eine Finanzbuchhaltung notwendig.

Diese Zusammenhänge lassen sich wiederum visualisieren. Das folgende Bild zeigt nicht nur die Zuordnung der Capabilities (schwarz) und Ressourcen (blau) zu den wertschöpfenden Einzelschritten, sondern eine (fiktive) Einschätzung der Maturität der Capabilities (die rot umrandeten liegen bei EU-Rent im Argen). Aus diesen Einschätzungen lässt sich nun ein Massnahmenplan für die Weiterentwicklung des Unternehmens ableiten.

Zudem ist bei der Capability Flotten-Management zu sehen, dass dafür nicht nur die Ressource Fahrzeug-Pool erforderlich ist, sondern, dass für sie die Capability Fahrzeug-Instandhaltung notwendig ist.

Bild: KnowGravity

Durch die Zuordnung der im obigem Bild gezeigten Einzelschritte des Wertstroms zu Organisationseinheiten des Unternehmens lassen sich nun Verantwortlichkeiten festlegen:

  • Für die Einzelschritte Angebot publizieren und Vertrags-Management ist die Abteilung Verkauf zuständig.
  • Der Einzelschritt Mietwagen bereitstellen ist die Aufgabe der Logistik.
  • Die Abteilung Buchhaltung übernimmt die Verantwortung für Mietkosten verrechnen.

Bild: KnowGravity

Interessant ist nun, dass die Pfeile von den Capabilities zu den Einzelschritten des primären Wertstroms ihrerseits selber Werte darstellen. Diese Werte werden typischerweise von internen Stellen für andere interne Stellen desselben Unternehmens bereitgestellt, d.h. sie werden durch sekundäre Wertströme erzeugt. 

Somit lässt sich ein Unternehmen als Netz von Wertströmen darstellen, die in der Verantwortung verschiedener Organisationseinheiten liegen. Mit einem Wertflussdiagramm lässt sich dann aufzeigen, wer in einem Unternehmen für wen welche Werte produziert und welche Werte benötigt.

Bild: KnowGravity

Durch die Analyse dieser Zusammenhänge lässt sich die Effizienz der Wertschöpfung in einem Unternehmen untersuchen und ggf. auch verbessern. Diese Technik wird auch als Wertnetzwerkanalyse oder Wertflussanalyse bezeichnet (siehe dazu auch 4).

Geschäftsmotivation

Eine zentrale Aufgabe der Unternehmensarchitektur ist die bewusste Verfolgung einer Geschäftsstrategie sowie deren permanente Anpassung an die heute immer rascheren Veränderungen im Umfeld eines Unternehmens. Dazu möchte ich hier ganz kurz einen weiteren Ansatz vorstellen, der sich um die Kernentitäten Zweck und Prinzip des obigen Metamodells fokussiert und zudem zwei weitere einführt: den Einflussfaktor und die Einschätzung. 

Der vorgestellte Ansatz basiert auf der Modellierungssprache BMM (Business Motivation Model) 5 der OMG (Object Management Group), welche für die Modellierung strategischer Überlegungen entwickelt wurde. Dazu verwendet das BMM die Kernentitäten in folgender Weise:

  • Mit dem Zweck wird die Vision des Unternehmens abgebildet, sowie qualitative und quantitative Ziele, welche die formulierte Vision unterstützen bzw. zu ihr hinführen.
  • Einflussfaktoren repräsentieren interne oder externe Gegebenheiten, mit denen ein Unternehmen umgehen können muss oder die es gar zu seinem Vorteil nutzen kann. Beispiele solcher Einflussfaktoren sind etwa Markteinflüsse wie veränderte Kundenbedürfnisse oder neue Mitbewerber, aber auch regulatorische Vorschriften, neue Technologien, Partnerschaften oder eigene Ressourcen.
  • Stellt man Einflussfaktoren den formulierten Zielen gegenüber, so lassen sich daraus positive oder negative Einschätzungen ableiten, was zu klassischen SWOT-Analysen (Strength/Weakness/Opportunity/Threat) sowie Risiko- und Chancen-Überlegungen führt.
  • Das Prinzip in obigem Metamodell wird im BMM als Mittel verstanden, d.h. Strategien, Taktiken und Richtlinien, welche es dem Unternehmen ermöglichen, trotz oder gerade mithilfe der identifizierten Einflussfaktoren seine Ziele zu erreichen, d.h. seinen Zweck zu erfüllen.

Bild: KnowGravity

Beispiel EU-Rent:

EU-Rent hat die Vision, an jedem grösseren Fernverkehrsknoten in Europa Mietfahrzeuge für den Individualverkehr anzubieten. Dazu sollen in den nächsten 2 Jahren Europa’s Top-20% Flughäfen (gemäss Passagieraufkommen) mit einer eigenen Fahrzeug-Übergabestelle erschlossen werden (ein quantitatives Ziel). 

Aufgrund der drohenden Auswirkungen des Klimawandels benutzen Reisende für Distanzen bis 1000km aber vermehrt die Bahn bzw. Nachtzüge statt zu fliegen. Dieser externe Einflussfaktor wirkt dem ursprünglich formulierten Ziel der Flughafenerschliessung entgegen und stellt damit eine Gefahr für die Weiterentwicklung der Firma dar (eine Einschätzung). 

Daher beschliesst die Geschäftsleitung von EU-Rent, sich stattdessen auf die Erschliessung aller wichtiger Bahnhöfe zu fokussieren (ein neues Ziel). Dieses Ziel soll durch eine enge Zusammenarbeit mit Bahnunternehmen angestrebt werden (eine Strategie) und beginnend mit Bahnhöfen in touristisch attraktiven Städten oder Business-Metropolen schrittweise umgesetzt werden (eine Taktik). Zudem sollen insbesondere in Städten ausschliesslich Elektrofahrzeuge angeboten werden, die via Anschluss von Ladestationen an das Stromnetz der Bahn jeweils geladen werden können (eine weitere Taktik). EU-Rent kann zudem auf die eigenen Erfahrungen aufbauen, die mit einer kleinen Flotte von Elektrofahrzeugen bereits gemacht wurden (ein interner Einflussfaktor).

Beim BMM geht es einerseits darum, solche strategischen Überlegungen explizit und damit diskutierbar zu machen. Ist eine Geschäftsstrategie erst einmal in dieser Form festgehalten, so unterstützt das BMM andererseits Entscheidungsträger, ihr Unternehmen permanent und wohlinformiert an neue Gegebenheiten anzupassen. 

Das BMM führt zudem noch zwei weitere wichtige Kernentitäten in die strategischen Überlegungen eines Unternehmens ein, die aber den Umfang dieses Artikels definitiv sprengen würden: Ressourcen und Verpflichtungen eines Unternehmens. Genaueres dazu ist wiederum unter 5 zu finden.

Fazit

Die Gestaltung und Pflege einer adäquaten Geschäftsarchitektur ermöglicht einem Unternehmen, informierte Entscheidungen zu treffen, um sich erfolgreich in einem sich permanent verändernden Marktumfeld zu behaupten und weiterzuentwickeln.

Zusammen mit der Technologiearchitektur, welche die Ausgestaltung der technologischen Hilfsmittel zum erfolgreichen Betrieb des Geschäfts sicherstellt, ist die Geschäftsarchitektur das zentrale Fundament der Unternehmensarchitektur. 

Und was ist nun digital an einer solchen Geschäftsarchitektur? Darauf gibt es drei Antworten:

A Einerseits bieten heutige Technologien noch nie dagewesene Möglichkeiten, Aufgaben entlang Wertschöpfungsketten zu automatisieren und gleichzeitig zu flexibilisieren.

B Andererseits ermöglichen diese Technologien durch fundamentale Verantwortlichkeitsverschiebungen entlang von Wertschöpfungsketten grundsätzlich neue Geschäftsmodelle: Durch Automatisierungstechnologien lassen sich repetitive Aufgaben entlang von Wertschöpfungsketten von Menschen an Maschinen verschieben.

  • Durch massive Vereinfachung (Stichwort Usability) lassen sich Aufgaben von Menschen zu (anderen) Menschen verschieben:
  • Nicht-kritische Aufgaben lassen sich aus dem Unternehmen hinaus an Kunden und Partner verschieben (Outsourcing zur Kostenreduktion).
  • Gewisse Aufgaben rund um angebotene Kernprodukte (z.B. Betrieb und Wartung verkaufter Maschinen und Anlagen) lassen sich von Kunden und Partnern in das eigene Unternehmen hinein verschieben (Insourcing neuer Umsatz-generierender Services)

C Und schliesslich lassen sich die aktuellen Informationstechnologien auch für das Management der Unternehmensarchitektur selber einsetzen, was zu einer neuen Generation von Enterprise Architecture Management (EAM) Tools führt. Liegen Architekturmodelle wie Wertstrommodelle oder Motivationsmodelle erst einmal in einer strukturierten und digital bearbeitbaren Form vor, so lassen sie sich einfach für die Beantwortung komplexer Fragestellungen nutzen.

Lesen Sie auch:

Referenzen: 


Über den Autor

Markus Schacher

Markus Schacher ist Mitbegründer und KnowBody von KnowGravity Inc., einem Beratungsunternehmen mit Sitz in Zürich (Schweiz), welches sich auf modellbasiertes Engineering spezialisiert hat. Als Trainer hat Markus bereits 1997 die ersten öffentlichen UML-Kurse in der Schweiz durchgeführt und hat als Berater vielen grossen Projekten geholfen, modellbasierte Techniken einzuführen und nutzbringend anzuwenden. Seit 2005 unterstützt er auch Unternehmen in den Bereichen "Ganzheitliche Unternehmensarchitektur" sowie "Business/IT-Alignment". In Kooperation mit Digicomp und der HWZ bildet er zudem als Trainer im CAS-Lehrgang "IT Architecture" Architekten und Architektinnen aus.