Scrum in der Praxis: 4 typische Probleme und wie sie zu fixen sind

Die Produkte treffen die Bedürfnisse der Nutzenden nicht. Es mangelt an Zuverlässigkeit. Oder die Weiterentwicklung stagniert? Scrum Trainer Marc Kaufmann erklärt, wo sich in der Scrum-Praxis die Probleme häufen und welche bewährten Tools helfen, diese zu lösen.

Autor Marc Kaufmann
Datum 21.10.2022
Lesezeit 13 Minuten

Kein agiles Framework wird in der Praxis häufiger eingesetzt als Scrum.  Scrum ist mit seiner schrittweisen Vorgehensweise in komplexen Umfeldern erfolgreich, also dort, wo mehr ungewiss als gewiss ist und es ums schnelle Lernen und Anpassen geht. Zum Beispiel überall, wo sich Technologien rasch wandeln, wo die Anforderungen unklar sind oder mit den Kundinnen und Kunden erst gemeinsam ermittelt werden muss, was das Ziel eines Produkts ist.

Aber auch wenn Scrum der richtige Werkzeugkoffer für Ihre Herausforderung ist, ganz reibungslos verläuft die Implementierung in der Praxis selten. Welche bedeutende Veränderung kennen Sie, die auf Anhieb wie geschmiert läuft?

Die eine Lösung für jedes Problem gibt es dabei natürlich nicht, aber eine Reihe von bewährten agilen Methoden und Techniken, die Ihrer Scrum-Implementierung den entscheidenden Tropfen Öl verpassen können.

Unser Professional Scrum Trainer von Scrum.org, Scrum Master und Agile Coach Marc Kaufmann erklärt, welche Probleme ihm in der Praxis am häufigsten begegnen und welche Best Practices Ihnen erfahrungsgemäss die entscheidenden Impulse liefern, um Ihr Scrum Game zu verbessern und Ihre Projekte schnell, kundenorientiert und erfolgreich ins Ziel zu bringen.¹

Die 4 typischen Scrum-Probleme

Klicken Sie auf ein ausgewähltes Problem, um direkt zu den Lösungen zu gelangen.

Problem 1: Es wird nicht gebaut, was gebraucht wird

Lösung: Finden Sie heraus, für wen und wozu Sie etwas entwickeln

Damit Ihre Sprints auch wirklich zum Ziel führen, müssen Scrum Teams die Fragen «Für wen?» und «Wozu?» klären. Die folgenden vier Methoden helfen Ihnen Schritt für Schritt dabei.

A – Führen Sie Kundensafaris durch
Werden Sie sich klar darüber, wer Ihre Kundinnen und Kunden sind. Häufig stossen Scrum Teams hier auf Probleme, wenn Sie mit internen Kundinnen und Kunden zu tun haben. Dann fragen Sie am besten, wer hat Sie beauftragt? Wer sponsert mit seinem Geld den Auftrag?

B – Definieren Sie den Wert im Projektkontext
Wenn Sie Ihre Kundinnen und Kunden identifiziert haben, diskutieren Sie mit Ihnen, um zu verstehen, welche Bedürfnisse Sie haben und was für Sie von Wert ist. Dient der Auftrag der Erhöhung der Kundenzufriedenheit?

Geht es darum, Kosten zu senken? Finden Sie gemeinsam heraus, was genau Ihren Kundinnen und Kunden oder Stakeholderinnen und Stakeholdern das Leben erleichtert.

C – Nutzen Sie die Produktvision als Tool
Eine Produktvision hilft Ihnen, dass sich alle Mitglieder eines Scrum Teams gemeinsam mit Ihren Stakeholderinnen und Stakeholdern an geteilten Zielen ausrichten. Denn wenn es dann mal stürmisch wird (zu viel Arbeit, zu wenig Zeit), können sich alle wieder auf das gemeinsam verabschiedete Zielverständnis besinnen, fokussieren und prüfen, ob sie noch auf dem richtigen Weg sind. (Auch Selbstverantwortung und Commitment wird so erst möglich gemacht.)

Eine Produktvision erarbeiten Sie am besten gemeinsam mit allen Stakeholderinnen und Stakeholdern in einem Product Vision Workshop.

Tipp: Das Erstellen von Personas, Value Propositions und die Definition von KPIs haben sich bei der Zielformulierung praktisch bewährt.

D – Involvieren Sie Ihre Stakeholderinnen und Stakeholder fortlaufend
Der Stakeholder-Austausch und der persönliche Kontakt sollte mit dem Workshop nicht enden, sondern mit der Beteiligung an Refinement und Review Events weitergehen. Auch beim Ordnen des Product Backlogs lohnt es sich, die Stakeholder einzubeziehen. Darüber hinaus haben sich beispielsweise gemeinsam organisierte Guerilla Testings bewährt.

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Problem 2: Die Zuverlässigkeit der Lieferungen fehlt

Lösung: Machen Sie schnelle, kleine, aber auch «fertige» Schritte

Scrum sieht vor, schnelle und kleine Schritte zu machen, um kontinuierlich dazu zu lernen – diese Schritte sollten aber auch der Definition of done entsprechend «fertig» sein, damit Sie auch schnell Feedback von den Nutzerinnen und Nutzern gewinnen können. Das ist einfach gesagt, aber in der Praxis tatsächlich oft schwer umzusetzen.

Es gibt verschiedene Gründe (Impediments), die ein Scrum Team daran hindern können, zuverlässig auszuliefern. Zum Beispiel sind Releases oft zu gross geschnitten. Oder dem Team fehlen bestimmte Skills. Nicht zuletzt ist die agile Denkweise in vielen Unternehmen noch zu wenig verankert.

Um diese Hindernisse zu überwinden, gibt es verschiedene Best Practice Methoden, die gezielt auf die Problemursache einwirken. Es gilt zwischen der technischen, organisatorischen sowie finanziellen Ebene zu unterscheiden.

Best Practices auf technischer Ebene:

E – Sanieren Sie Ihre «Definiton of Done (DoD)»
Revitalisieren Sie Ihre DoD. Dabei hilft diese Leitfrage: Angenommen, Sie würden nach jedem Sprint releasen, welche Checks bräuchten Sie, um dauerhaft eine hohe Qualität des Produkts sicherzustellen?

F – Nutzen Sie Automatisierung
Überlassen Sie manuelle, repetitive Standard-Aufgaben den Maschinen, dann hat das Team mehr Kapazitäten für anspruchsvolle und singuläre Tasks.

G – Schneiden Sie Ihre PBIs kleiner und vertikal
Die einzelnen Elemente im Product Backlog (PBIs) gilt es möglichst kleinteilig zu beschreiben, um Zwischenziele schneller zu erreichen. Machen Sie dabei vertikale Schnitte statt Komponenten-Schnitte, um Abhängigkeiten von der Anforderungseite besser zu handeln.

Best Practices auf organisatorischer Ebene:

H – Erhöhen Sie Ihre Crossfunktionalität mit einer Skillmatrix
Mit einer Skillmatrix können Sie visualisieren, wo Sie im Team welches Wissen haben. Dann wird schnell ersichtlich, wo die Wissensinseln liegen und es lassen sich gezielt Lösungen finden, wenn Lücken auftauchen.

Best Practices auf finanzieller Ebene:

I – Erstellen Sie einen Business Case für Continuous Delivery
Das Management ist naturgemäss empfänglich für Zahlen. Das können sich Scrum Teams zunutze machen, wenn Sie beispielsweise das Management überzeugen möchten, in Automatisierung zu investieren. Ermitteln Sie dafür die Zeit, die Sie aktuell bis zum Release brauchen, inklusive der Arbeitsstunden für alle manuellen Tätigkeiten. Mit dieser – in der Regel grossen – Zahl können Sie nun kleine Experimente durchführen und zeigen, dass die Releases derzeit zu viel Zeit brauchen und daher zu teuer sind.

J – Limitieren Sie die Anzahl simultaner Projekte
Sind Teammitglieder mit vielen Aufgaben gleichzeitig beschäftigt, entstehen hohe Reibungsverluste und es wird schlussendlich weniger ausgeliefert. Denn das Switchen zwischen den einzelnen Aufgaben kostet Zeit und Energie. Fokussiertes Arbeiten ist weitaus effektiver, dass beweisen auch empirische Studien. Sobald an vier Projekten gleichzeitig gearbeitet wird, werden mehr Ressourcen für die Kontextwechsel aufgewendet, statt für die eigentliche Entwicklung.

Insbesondere Feuerwehrübungen, die den geplanten Arbeitsfluss unterbrechen, sind dabei häufig ein Problem. Beginnen Sie das Problem zu lösen, in dem Sie die Unterbrechungen transparent und messbar machen. Dann müssen für eine zuverlässige Auslieferung andere Tasks für dringendere aus dem Work in Progress rausfallen. Setzen Sie sich dafür am besten klare Grenzen, beispielsweise 3 Tasks in Progress je Teammitglied.

K – Involvieren Sie Ihre Stakeholder
Ihre Stakeholderinnen und Stakeholder sind mächtige Verbündete, wenn es um die Qualität, aber auch die Geschwindigkeit der Lieferungen geht. Deshalb sollten Sie diese regelmässig befragen, wie zufrieden sie mit den heutigen Entwicklungen und ihrer Qualität sind. Angaben auf einer Skala von eins bis zehn machen die Ergebnisse mess- und vergleichbar. Sammeln Sie diese Daten, um Trends zu erkennen und gegebenenfalls gegenzusteuern.

Lesen Sie dazu auch den Beitrag von Scrum Trainer Peter Gfader: 5 Schritte für mehr Zuverlässigkeit

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Problem 3: Die Verbesserung stagniert

Lösung: Teile und lerne

Empirisches Vorgehen ist in Scrum systemisch in den Retrospektiven angelegt. Scrum Teams müssen sich dadurch immer wieder fragen, ob die Ergebnisse den Erwartungen an sie selbst entsprechen und was sie gegebenenfalls verändern müssen.

Viele Teams verbessern sich trotz Feedbackschleifen aber oft nicht, weil das Lernen aus Fehlern nicht wirklich gelebt wird oder die Stakeholderinnen und Stakeholder in den Retrospektiven fehlen. Die folgenden Techniken setzen nachhaltig Impulse zu einer stetigen Verbesserung.

L – Beleben Sie Ihre Retrospektiven
Setzen Sie sich im Team damit auseinander, wie Sie die Retrospektiven verbessern können, damit sie wieder einen Sinn stiften.

M – Orientieren Sie sich an den Scrum-Werten
Fokus, Respekt, Commitment, Offenheit, Courage – das sind die Scrum Werte. Klären Sie im Team, wo sie bereits gut sind und was sie besser machen können.

N – Machen Sie die Scrum Impediments transparent
Spüren Sie die Hindernisse auf, die einer Verbesserung im Wege stehen. Machen Sie diese sicht- und messbar.

O – Führen Sie kleine Experimente durch
Testen Sie erstmal im Kleinen, wie es besser klappen könnte.

P – Machen Sie Erfolge sichtbar
Zeigen Sie jeden Erfolg auf – und sei er noch so klein. Erfolgserlebnisse heben die Stimmung und motivieren zum Weiterarbeiten.

Q – Nutzen Sie eine Lösungssprache statt einer Problemsprache
Fragen Sie nicht «Was ist das Problem?» oder «Wer ist schuld?», sondern «Was wollen wir erreichen?» und «Was hat früher schon gut funktioniert?». Problemsprache hemmt und baut Barrieren auf, Lösungssprache steigert die Eigeninitiative.

R – Fokussieren Sie sich auf das, was Sie ändern können
Rücken Sie nicht die Probleme, die Sie selbst nicht lösen können, in den Vordergrund, sondern konzentrieren Sie sich auf das, was Sie selbst zur Verbesserung beitragen können – und packen Sie das in kleinen Schritten an.

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Problem 4: Es fehlt an Eigenverantwortung

Lösung: Suche die 15% Lösung

Ohne Eigenverantwortung kein Scrum. Die Teams und jedes Teammitglied müssen selbstständig arbeiten können. Ständig jemanden um Erlaubnis fragen zu müssen, hindert und blockiert. Ein bewährtes Reparaturwerkzeug für dieses typische Scrum-Problem ist die sog. 15-Prozent-Lösung.

S – Nageln Sie 15 statt 100 Prozent
15 statt 100 Prozent bedeutet, in kleinen Schritten zu denken, die ohne Abhängigkeit von anderen angegangen werden können. Sprich: Was können Sie jetzt machen, ohne um Erlaubnis fragen zu müssen? Das fördert die Eigeninitiative und die Eigenverantwortung und führt zu schnelleren Erfolgen.

Haben Sie Ihr Scrum Team oder Ihre Scrum Organisation in einigen der Probleme wieder erkannt? Dann hoffen wir, Sie haben durch diesen Beitrag viele spannende Impulse gewonnen, um Ihr Scrum in der Praxis kontinuierlich zu verbessern. Am besten picken Sie sich eine Methode heraus, experimentieren im Kleinen, inspizieren und adaptieren entsprechend dem Geist des agilen Manifests und natürlich von Scrum. No big risk, no big harm.

Aber bevor Sie sich an den Reperaturwerkzeugen ausprobieren, möchten wir Ihnen noch einen letzten grundlegenden Tipp mitgeben: Neben Praxiserfahrung und dem Einsatz des richtigen Werkzeugs bzw. Methoden und Techniken ist es wichtig, dass Sie sich Zeit nehmen, Ihr Handwerk auch richtig zu erlernen. Um Scrum effizient anzuwenden, sollten Sie das Konzept von Professional Scrum grundlegend verstehen.

Gerne unterstützt Sie Digicomp dabei. In unseren praxisnahen Professional Scrum Trainings erwerben Sie die notwendigen Fachkenntnisse und werden zudem auf die hochwertigen Zertifizierungen von Scrum.org vorbereitet.

Level up your Scrum Game

Machen Sie den nächsten Schritt und werden Sie zertifizierter Professional Scrum Master oder Product Owner. Lernen Sie in unseren praxisnahen Kursen, wie Sie mit Scrum agil arbeiten und kontinuierlich hochwertige Produkte liefern.

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¹ Fussnote: Der Inhalt dieses Beitrag stammt aus unserem DigiSnack-Webinar mit Marc Kaufmann zum Thema «Fix Dein Scrum! Praktische Lösungen für häufige Probleme» vom 11.05.2022. Wir haben es protokolliert und gekürzt. Die Aufzeichnung zum Nachschauen finden Sie hier.

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Über den Autor

Marc Kaufmann

Marc Kaufmann ist Agile Coach, Scrum Master und Professional Scrum Trainer der Scrum.org. Mit mehr als 20 Jahren Berufserfahrung in der IT arbeitet er seit 2008 als Scrum Coach und Trainer und /walks his talk»: am liebsten auch immer wieder als Scrum Master direkt am Team. Marcs Spezialgebiet ist Onsite-, Near- und Offshore-Produktentwicklung mit agilen Methoden (Scrum, Kanban, XP) – auch ausserhalb der IT.