Lisa Falco: «Programmieren war für mich ein Aha-Erlebnis»

Lisa Falco hat nie geplant in der Tech-Branche zu landen. Sie überlegt Ärztin zu werden. Doch dann erkennt sie, dass Sie mithilfe von Data Science und Technologien den menschlichen Körper entschlüsseln und medizinische Probleme lösen kann.

Autor Digicomp
Datum 01.09.2022
Lesezeit 7 Minuten

Man muss kein Geek sein, um in der Tech-Branche erfolgreich zu sein. Lisa Falco war nie von der Technik an sich begeistert, sondern immer von ihrer praktischen Anwendung. Seit 20 Jahren wirkt die gebürtige Schwedin Lisa Falco an der Schnittstelle zwischen Medizin und Technik und erforscht, wie Daten genutzt werden können, um den menschlichen – insbesondere den weiblichen – Körper besser zu verstehen.

Nach dem Studium der technischen Physik und ihrer Promotion an der EPFL in Lausanne über biomedizinische Bildgebung arbeitet Lisa Falco als Data Scientist bei verschiedenen Schweizer Start ups, wo sie AI- und Machine-Learning-basierte Med-Tech-Produkte von Grund auf neu entwickelt und bis zur Markteinführung begleitet. Zum Beispiel in der Knochenforschung, bei Diabetes oder der Fruchtbarkeit. Beim FemTech Start up Ava entwickelt Lisa Falco Wearables, die Paaren helfen schneller schwanger zu werden. Wie? Durch das Tracken von Daten des individuellen Menstruationszykluses wie der Herzfrequenz oder der Körpertemperatur können Algorithmen des maschinellen Lernens entwickelt werden, die den besten Zeitpunkt für eine Empfängnis errechnen.

Zurzeit arbeitet die gebürtige Schwedin bei der Zühlke Group als Lead Consultant für AI & Data. 2021 erschien ihr Buch «Go Figure! The Astonishing Science Of The Female Body».

Frauen sind in der Tech-Branche immer noch selten. Wie kam es dazu, dass du dich auf AI & Data im Healthcare und MedTech-Bereich spezialisiert hast?

Ich hatte ursprünglich gar nicht das Ziel, in der Tech-Branche zu arbeiten. Erstmal habe ich Physik studiert, weil ich das Universum verstehen wollte. Aber ich wusste nicht, was ich mit all diesen mathematischen Formeln anfangen sollte. In meinem Master habe ich dann mit Programmieren und Bildverarbeitung angefangen und Kurse in Medizintechnik belegt. Medizin hat mich eigentlich schon immer interessiert, aber ich wäre wohl keine gute Ärztin geworden – ich bin keine Care-Takerin (lacht). Das Programmieren war für mich dann aber ein wahres Aha-Erlebnis: Beim Programmieren kann ich die Lösung eines Problems in kleine, verständliche Teile aufspalten – und plötzlich ergab alles einen Sinn. Visuell zu sehen, was ich mit Mathematik erschaffen kann, begeistert mich. Und weil ich in der Medizin mit Hilfe der Informatik viel leisten kann, bin ich in dem Bereich geblieben und habe meine Interessen vereint.

Welche Daten lassen sich für die Medizin nutzen? Und welche Rolle spielt künstliche Intelligenz dabei?

In der medizinischen Forschung kann man heute extrem viele Daten sammeln. Über Wearables lassen sich zum Beispiel die Temperatur sowie die Herz- und Atemfrequenz messen. Zusätzlich gibt es Bildgebungsdaten wie Röntgen- oder CT-Bilder. Und auch die Patientenhistorie lässt sich detailliert erfassen und nachhalten. Für einen Menschen sind das aber zu viele Daten, man wird regelrecht überflutet. Deshalb braucht es die Technik, die Datenanalyse und die KI, um aus all diesen Daten die wertvollen Informationen rauszuholen.

Du engagierst dich besonders in der Frauengesundheit und dafür, dass Frauen in der Medizin gesondert betrachtet werden. Warum ist das so wichtig?

Die Forschung für Frauengesundheit ist deshalb so wichtig, weil nicht länger angenommen wird, dass der weibliche Organismus wie der männliche funktioniert. Wir Frauen sind einfach ganz anders: Wir produzieren andere Hormone und Enzyme, verdauen deshalb Medikamente anders. Auch unser Zyklus hat Einfluss auf unseren Organismus, beeinflusst unser Körpergefühl, unser Gehirn und unsere Verdauung. Stand heute wissen wir noch nicht, wie der weibliche Zyklus vielleicht sogar die Verdauung von Medikamenten beeinträchtigt. Während unserer reproduzierenden Jahre sind Frauen sehr gut vor Demenz, Alzheimer, Osteoporose und Herzkrankheiten geschützt. Nach der Menopause haben Frauen dann aber ein sehr viel höheres Risiko, daran zu erkranken.

Wie gross ist der Aufholbedarf im Bereich Frauengesundheit?

Im Moment noch sehr gross. Das liegt daran, dass die medizinische Forschung lange Zeit von Männern dominiert wurde. Die haben auch zum Schutz der Frauen nicht an ihnen geforscht, wegen Schwangerschaften zum Beispiel. Inzwischen aber fassen immer mehr Frauen Fuss in der medizinischen Forschung.

Wie können die IT und mehr Frauen in der Branche dazu beitragen, ein Gleichgewicht in der Wahrnehmung von Frauen und Männern herzustellen?

In der medizinischen Forschung gibt es fast schon ein Gleichgewicht. In Schweden zum Beispiel sind Frauen in diesem Bereich sogar überrepräsentiert, andere Länder sind hingegen noch nicht so weit. In der IT ist das Ungleichgewicht aber noch sehr gross. Schon junge Mädchen müssten viel stärker in der Technik gefördert werden, um dem entgegenzuwirken. Und die andere Denkweise von Frauen müsste wertgeschätzt werden. Wenn nun ein paar Frauen zu einer Gruppe von Männern stossen, sind sie oft die Aussenseiter, und ihre Denkweise findet kaum Gehör. Natürlich gibt es in beide Richtungen auch viele Ausnahmen. Aber mit mehr Frauen kann die Dynamik in der Gruppe aber gesteigert werden.

Welchen Rat möchtest du Frauen mitgeben, die den Start oder Quereinstieg in die Tech-Branche wagen?

Macht das, was euch Spass macht und denkt nicht so viel darüber nach, was andere von euch denken.

Angenommen es gäbe eine Tech-Fee: Welchen Wunsch könnte sie dir erfüllen?

Dass das Potenzial von Wearables mehr genutzt wird. Mit Hilfe dieser Technologie können Krankheiten vorhergesehen und Diagnosen frühzeitig gemacht werden. Wir könnten Krankheiten dann vermeiden, anstatt sie zu heilen.

Women for Tech

Wie gelingt es mehr weibliche Talente für die IT-Branche zu begeistern? Zum Beispiel mit Vorbildern. In unserer neuen Interview-Reihe «Women for Tech» stellt Digicomp deshalb Frauen vor, die uns mit ihrer Kreativität und ihrem Mut inspirieren. 

Wie gelingt es mehr weibliche Talente für die IT-Branche zu begeistern? Zum Beispiel mit Vorbildern. In unserer neuen Interview-Reihe «Women for Tech» stellt Digicomp deshalb Frauen vor, die uns mit ihrer Kreativität und ihrem Mut inspirieren. 


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