Brief an das Social Media

Zeit für Klartext! Darum schreibe ich einen sehr persönlichen Brief an Social media, um mein Unbehagen auszudrücken.

Autor Claudia Möri
Datum 01.09.2021
Lesezeit 4 Minuten

Liebes Social Media,

Unsere Beziehung ist schwierig und ich melde mich nur widerwillig bei Dir. Wenn ich Dir ein Häppchen hinwerfe, reagierst du freudig wie ein junger Hund, der spielen will. Dann forderst Du mehr und bombardierst mich fortwährend mit Benachrichtigungen, bis es mir zu viel wird. Du probierst es noch ein bisschen und gibst dann (endlich) Ruhe. Deine Aufmerksamkeitsspanne ist kurz. Du wirst von genügend Menschen ständig mit Posts gefüttert und Du sperrst den Mund nimmersatt auf. Du saugst uns ein in deine schöne – scheinbar grenzenlose – bunte Welt. Aber Du hast viele dunkle Facetten, die gnadenlos zuschlagen, meist aus dem Hinterhalt und ohne Vorwarnung. So schnell wie sich Sonnenuntergänge und glitzernde Selfies verbreiten, so rasch dringen auch Hass und Verachtung in unser Leben.

“Du bist sch…!!!”

Es schreit sich so wunderbar auf Dir. Hier muss niemand zuhören, Stattdessen kann man die Gegner:innen gnadenlos fertig machen. Oder sich eine eigene Realität schaffen – so wird man zum Präsidenten. Einfach ein Opfer herauspicken und solange auf dieser Person herumhacken, bis sie sich vor lauter Verzweiflung das Leben nimmt. In Deiner Anonymität verlieren wir Respekt und Anstand ganz schnell. Vorurteile, Rassismus, Homophobie, Verachtung … gedeiht alles ganz wunderprächtig. Ganz ehrlich? Du tust uns nicht gut. Wir verbringen viel zu viel Zeit damit, uns von deinen Feeds einlullen zu lassen. Und wir flüchten nur allzu bereitwillig in Deine Scheinwelt. Dabei verlieren wir die Fähigkeit, Verständnis und Empathie zu empfinden.

Frau sitzt auf Bank und hält Plakat als Protest gegen Hate speech

Komm einfach (wieder) mit ins echte Leben!

Es gab mal eine Zeit, da nutzte man Facebook, um verloren gegangene Freund:innen aus der Schulzeit ausfindig zu machen, die man dann auch wirklich traf. Heute sammeln wir Kommentare, Herzchen und Retweets wie Trophäen. Und Du setzt die Messlatte stetig ein bisschen höher an, verlangst immer mehr Posts für etwas Reichweite. Die Menschen schauen sich auf Instagram offenbar am liebsten Sonnenuntergänge an. Katzenvideos boomen auf Youtube immer noch und auf Twitter kann man wunderbar motzen. In der Menge der gleichgültigen Poser und Motzerinnen gehen die positiven Aktivist:innen leider oft unter. Dabei gibt es (zum Glück!) auch jene, die Dich für Sinnvolles nutzen, beispielsweise um nachhaltige Veränderungen im realen Leben zu bewirken. Geben wir doch diesen positiven Aktionen mehr Raum. Wir könnten ja unserem Lieblingslabel auf Social media konkrete Fragen zu Produktion und Arbeitsbedingungen stellen. Oder für den Laden um die Ecke einen tollen Post verfassen und danke sagen – einfach, weil man gerne dort einkauft – und ich meine nicht ein Selfie 🙂 Also macht ihr mit? Für weniger Sonnenuntergänge und mehr Engagement und Gemeinschaft. Das kriegen wir hin. Und Du, liebes Social media, hast das einfach zu liken.

Du hörst von mir, ciao!

 


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Claudia Möri