Virtual Leadership: Wie gelingt nahes Führen auf Distanz?

Um die Verbindung zum Team auch im Homeoffice aufrechtzuerhalten, kommt es auf die innere Haltung an. 4 neue Paradigmen für eine positive, virtuelle Führung.

Autor Christian Herbst
Datum 16.11.2020
Lesezeit 10 Minuten

Unter «Führen auf Distanz» versteht man heute meist Führen mit räumlicher Distanz. Gerade wenn wir räumlich getrennt sind, bedarf es einer menschlichen Nähe und einem Gefühl der Verbundenheit. So wie die Internetverbindung stabil sein muss, damit wir miteinander «zoomen» können, brauchen wir eine stabile Beziehung und Verbindung untereinander, um gemeinsam erfolgreich zu sein.

Altes Paradigma: «Führe dominant und baue Dir eine Gefolgschaft auf»

Neues Paradigma: «Führe mit Menschlichkeit und baue Menschen auf, selbst zu führen»

Diese Art und Weise des Umgangs lernen wir gerade in diesem Jahr in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Frage, die sich dadurch stellt, ist: «Sind wir nur räumlich distanziert oder auch menschlich?», «Wie nah und verbunden bin ich mit meinen Mitarbeitenden, Kolleg*innen oder auch meinen Kund*innen?» Die Antwort auf diese Fragen führen uns zum Ziel.

Spätestens nach den ersten Monaten im verordneten Homeoffice ist vielen von uns klar geworden, dass wir menschlich verbunden sein müssen, um als Menschen glücklich und im unternehmerischen Sinne, erfolgreich sein zu können. 

Ich durfte als Partner bei IN.flow von April bis Mai diesen Jahres mit der Gesundheitsförderung Schweiz an einem Projekt arbeiten, um Menschen im Homeoffice zu unterstützen. Das Ergebnis der Kundenbefragungen war eindeutig: die Verbindung zum Team war das grösste Bedürfnis und entsprechend wurde das Gefühl des Zusammenseins am meisten vermisst.

Führung in einer Welt, in der die Dinge immer unsicherer und fluider werden, in einer sog. VUCA-Welt (1), verlangt nach einer gestärkten Verlässlichkeit, was die Beziehung anbelangt. Einen sicheren Rahmen, in dem man gemeinsam in einer unsicheren Welt bestehen kann. Es braucht einen Führungsstil, der andere dazu ermutigt selbst Verantwortung zu übernehmen und sich selbst als wertvolles Mitglied des Ganzen zu sehen. 

Eine Führungskraft ist jede/r, der/die andere einladen, inspirieren oder ermutigen möchte, neue Wege zu gehen und das eigene Potential zu entwickeln. Das hat nichts mit Status oder formaler Macht zu tun. Durch ein bewusstes Gestalten der Beziehungen und der Unternehmenskultur, entstehen sehr gut verbundene und erfolgreiche Teams. Virtuell oder nicht.

Altes Paradigma: «Warte bis Du gefragt wirst, eine Rolle als Führungskraft zu übernehmen” 

Neues Paradigma: «Führe, wo immer Du bist – such Dir Verantwortung und übernehme sie»

Neulich bin ich auf der Suche nach einem guten alten Klassiker für den Freitagabend wieder mal auf den Film «Wall Street» gestossen. Da sitzt Michael Douglas alias «Gordon Gekko» in seinem Corner Office im wahrscheinlich 120sten Stockwerk eines Wolkenkratzers in Manhattan. So ist er der Inbegriff des erfolgreichen Managers. So wollen die anderen werden. Da sitzt er nun weit oben und hat es geschafft. Was zählt, ist nur der Erfolg. Der Mensch ist nur insoweit wichtig, als er dem System dient und der Maschine (2) zu neuen Höchstleistungen und Gewinnen verhilft. Ansonsten austauschbar. Das ist so weit weg von dem wie Führung sein sollte...

Aber ist es wirklich so weit weg von der heutigen Realität? Ist es nicht vielleicht doch so, dass das uralte Führungsmodell, welches der Vorstellung von Platos idealem Staat entspringt, immer noch sehr präsent ist. Sein Modell kann so zusammengefasst werden: eine kleine Elite entscheidet. Ein «Mittelmanagement» erhält dann «von oben» den Auftrag zur Umsetzung. Diese «mittlere» Stufe lässt die Massnahmen dann vom «einfachen Volk» ausführen. 

Damals waren die Stufen unüberwindbar. Immerhin ist das heute durchlässiger. Man kann sich «hocharbeiten» und dann eine Führungsrolle einnehmen. Die damit einhergehende «Oben–unten-Dynamik» ändert sich dadurch nicht.

In meiner Arbeit mit Unternehmen sehe ich leider noch sehr häufig das archaische Führungsmodell Platos. Es ist tief verankert in unseren Systemen und deshalb hält sich die uralte Vorstellung von Führung so hartnäckig. 

Die Wissenschaft ist sich schon seit langem darüber einig, dass erfolgreiches, nachhaltiges Management völlig anders ausschaut (3). Erfolgreiche Organisationen brauchen Nähe zwischen Mitarbeitenden und Führungskräften. Es braucht Führungskräfte, die authentisch sind, Vertrauen haben und Vertrauen schaffen. Es braucht Menschen, die dazu ermutigt werden, auf Augenhöhe Verantwortung zu übernehmen. Eine solche Organisations- und Führungskultur ermöglicht Innovation, persönliche Weiterentwicklung und Wachstum.

Um Nähe auf Distanz zu ermöglichen, braucht es Vertrauen in die grundsätzlich positive Absicht der Mitarbeitenden (4). Ein Führen mit «Zuckerbrot und Peitsche» gehört gut verschlossen in die Truhe mit der Aufschrift: «ausgedient, nicht öffnen!». Wir können heute nicht mehr so führen wir noch vor 30, 50 oder gar 100 Jahren. Egal ob virtuell oder nicht.

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Altes Paradigma: «Fehler machen heisst, Du bist draussen»

Neues Paradigma: «Fehler machen und offen besprechen heisst, wir sind «voll dabei»

Führung nimmt in zukunftsorientierten Unternehmen eine menschenfördernde Haltung ein und hat ein Menschenbild, welches grundsätzlich das Gute im Menschen annimmt (5).

Menschen werden Fehler machen und wenn in einer Organisation eine Atmosphäre herrscht, in der man zu Fehlern stehen kann und als Team daraus lernt, dann ist Raum für Entwicklung, Raum für Neues. Neues funktioniert eben selten gleich auf Anhieb. Wenn Fehler vertuscht werden ist das ein deutliches Indiz für eine Angstkultur. Es gibt genug Unsicherheit in der heutigen Zeit. Wenn wir dann auch noch innerhalb des Unternehmens Angst haben müssen, ist das ungesund für den Einzelnen, die Teams und das Unternehmen. Mehr noch, es ist hochgradig geschäftsschädigend und verhindert jede Innovation.

In den letzten Jahren hat sich schon Vieles positiv verändert. Eine Führungskraft kommt eher in Sneakers und Jeans ins Büro oder zeigt sich so auf dem Screen aus dem Homeoffice. Dadurch hat sich jedoch noch nicht zwingend eine Veränderung in der Kultur ergeben. Schön ist, wenn diese legere Kleidung auch für etwas Innerliches steht: «Wir sind beweglich, wir sind in erster Linie Menschen und wir sind auf Augenhöhe». Gerade in IT-Unternehmen und Startups beobachte ich mit grosser Freude mehr und mehr von dieser Art miteinander umzugehen.

Sowohl in virtuellen Teams als auch im gemeinsamen Büro ist es heute zwingend nötig, offen und proaktiv zu kommunizieren. Wir sprechen Dinge an, die gut laufen und Dinge, die nicht gut laufen. Wir kennen uns als Menschen. Wir kennen unsere Stärken und Schwächen im beruflichen Kontext. Die Führungskraft schafft eine Umgebung in der die Agierenden eigenständig, selbstverantwortlich und doch eben nicht unabhängig entscheiden und handeln. So ist gewährleistet, dass Einzelne schnell reagieren können und bereit sind Entscheidungen zu treffen. Sie dürfen sich sicher sein, weil sie wissen, dass man ihnen zutraut Situationen sinnvoll einzuschätzen und entweder direkt zu handeln oder die, für eine grössere Entscheidung, nötigen Personen zu involvieren.

Altes Paradigma: «Wir kämpfen gegeneinander, um nach «oben» zu kommen

Neues Paradigma: «Wir sind füreinander und miteinander, um gemeinsam weiter zu kommen»

Bis hierher habe ich in diesem Artikel über die Grundvoraussetzungen für gelingende Nähe bei räumlicher Distanz und für virtuelle Führung gesprochen. Hoffentlich ist deutlich geworden, dass es um eine innere Haltung einander gegenüber geht. Jeder oder Jede versteht seine Rolle im Team. Es geht nicht um «oben oder unten», sondern darum, dass der oder die Einzelne im Team seine Rolle bestmöglich ausfüllen kann, damit die Organisation gemeinsam weiterkommt, erfolgreich ist und es den Menschen im Unternehmen dabei auch gut geht.

Weiterlesen:

Referenzen:

  1. VUCA setzt sich aus den Begriffen volatility (Unbeständigkeit), uncertainty (Unsicherheit), complexity (Komplexität) und ambiguity  (Mehrdeutigkeit) zusammen.
  2. LALOUX, Frederic. Reinventing organizations: ein Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender Formen der Zusammenarbeit. Vahlen, 2015.
  3. SELIGMAN, Martin. Flourish – Wie Menschen aufblühen: die positive Psychologie des gelingenden Lebens. Kösel-Verlag, 2012.
  4. PADBERG, Ekkehart. Einige Vorannahmen des NLP. In: Management by Excellence. Gabler, 2010. S. 25-29.

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Über den Autor

Christian Herbst

Christian A. Herbst ist Geschäftspartner der IN.flow Facilitation GmbH. Hier begleitet er Kunden in Innovations- und Veränderungsprozessen. Christian hat einen Abschluss in der Immobilienwirtschaft, eine theologische Ausbildung und psychologische Weiterbildungen sowie einen Master in psychografisch-lösungsorientiertem Coaching. Er bekleidete über viele Jahre Führungsrollen mit internationaler Verantwortung und leitete als Executive Director eine europäische Schule für Führungskräfte. Seit 2014 führt er den Ausbildungsstandort Zürich für die HEB Coaching Fachschule Schweiz und ist als Dozent an der TU München tätig.