Robotics Process Automation oder Demokratisierung von Daten?

Robotics Process Automation wird immer häufiger erfolgreich eingesetzt, um Geschäftsprozesse zu automatisieren. Allerdings werden damit oft nur die Symptome der Ineffizienz behandelt, sagt Christian Spindler. Der Robotics-Trainer und Inhaber von Data Ahead Analytics empfiehlt stattdessen die Demokratisierung von Daten.

Autor Christian Spindler
Datum 10.09.2019
Lesezeit 10 Minuten

Robotics, oder Robotic Process Automation (RPA) wird heute zunehmend genutzt, um Unternehmensprozesse in der heutigen, komplexen Landschaft von IT-Systemen digital zu automatisieren. Durch RPA kann oft eine unmittelbare Effizienz- und Qualitätsverbesserung von einzelnen, systemübergreifenden Prozessen erzielt werden. In der Praxis werden jedoch auch verstärkt Nachteile der Technologie sichtbar: RPA operiert an den Symptomen der existierenden Datensysteme, ohne diese Ursachen zu verbessern.

Im zweiten Teil des Blogs stelle ich deshalb unter dem Titel «Demokratisierung von Daten» eine Alternative zur RPA mit einem schnelleren und langfristig wirksamen ROI in der Praxis vor.

Was ist Robotic Process Automation?

Wie können Unternehmen, die an bestehende, organisch gewachsene Datensysteme gebunden sind, ihre Daten aus Warehouses, ERP- Systemen und Excel-Tabellen nutzbar machen? Wie können sie Prozesse, die vielzählige menschliche Eingriffe bedürfen, automatisieren und gleichzeitig flexibel auf die vielfältigen und unterschiedlichen Anforderungen aus den Geschäftsvorgängen reagieren? In diesem Zusammenhang ist Robotic Process Automation (RPA) eine Technologie, die seit jüngster Zeit erhebliches Aufsehen erregt.

Das Konzept von RPA ist einfach: Computerprogramme imitieren Nutzer dabei, wie diese Programme bedienen und Arbeitsabläufe ausführen. Nach ausreichendem Tuning sind die Programme in der Lage, diese Arbeitsabläufe selbständig durchzuführen, ohne dass menschliche Nutzer eingreifen müssen. Ein RPA-Programm kann Nutzer beispielsweise dabei beobachten, wie sie in ein Data Warehouse System navigieren, Daten aus unterschiedlichen Bereichen zusammentragen, diese in einer Excel-Tabelle weiterverarbeiten und schliesslich einen Bericht per E-Mail versenden.

Da Daten- und Email-Systeme oftmals separate Login-Verfahren verwenden, Daten nicht notwendigerweise in einfach verarbeitbarer Form zwischen den Systemen kopiert werden können und weitere Schritte für eine sinnvolle Berichterstattung notwendig sind, beispielsweise sollen nur Daten in einem gewissen Zeitrahmen dargestellt werden, bringt die Automatisierung dieser Schritte für tägliche Abarbeitung deutliche Zeitersparnisse mit sich.

Ein Bespiel für die RPA-Anwendung: Bestellvorgänge kontrollieren

Viele Firmen wenden präventive Kontrollmechanismen an, um doppelte oder inkorrekte Zahlungen zu vermeiden. Beispielsweise sollten beim Materialeinkauf die auf dem Lieferschein angegebene Menge mit dem Bestellauftrag übereinstimmen. Der Lieferschein sollte wiederum mit der Rechnung übereinstimmen. Nur wenn diese drei Dokumente konsistent sind, kann die Zahlung erfolgen und die Bestellung als bezahlt markiert werden. Wenn das Unternehmen eine zweite, doppelte Rechnung erhält, ist bekannt, dass die Bestellung bereits bezahlt wurde.

Angenommen, der Einkauf einer Firma bearbeitet einen Bestellauftrag für eine grosse Warenlieferung. Oftmals werden grosse Bestellungen auf mehrere Lieferungen aufgeteilt, die jeweils eigene Rechnungen enthalten. Auch kommt es vor, dass Lieferanten Rechnungen an Ihre eigenen Firmenkontakte senden, statt unmittelbar an den Einkauf. Mit mehreren Rechnungen, die an verschiedenen Orten in der Firma aufschlagen, ist es möglich, dass mehrere Kopien der gleichen Rechnung der grossen Bestellung zugeordnet werden. Einmal wird die Rechnungsnummer als «1234» eingetragen, ein anderes Mal als «1234.», und ein weiteres Mal als «001234».

Zwar besitzt das ERP System der Firma besitzt nun einen Kontrollmechanismus, welcher prüft, dass jede Rechnungsnummer pro Lieferant eindeutig ist, um doppelte Zahlungen zu vermeiden. Der beschriebene Vorgang würde dennoch fehlerhaft behandelt werden. Vermutlich würde die gleiche Rechnung mehrfach bezahlt werden. Für einen Menschen ist es zwar meist ersichtlich, dass die Werte «1234», «1234.», und «001234» die gleiche Rechnung bezeichnen, die manuelle Durchsicht aller Einträge im ERP ist jedoch zeitaufwändig.

Es bietet sich deshalb an, die Prüfung der Rechnungszahlungen zu automatisieren. Ein RPA-Programm kann genutzt werden, um im SAP die zusammengehörigen Dokumente Bestellungen, Lieferscheine und Rechnungen, aufzufinden und abzugleichen.  Für ein konventionelles RPA-Programm ist es jedoch nicht unmittelbar klar, dass die drei unterschiedlichen Werte der Rechnungsnummern identisch sind.

Wie kann RPA von KI und Machine Learning profitieren?

Auch RPA wird daher nicht automatisch doppelte Zahlungen vermeiden. Hier bietet sich der Einbezug künstlicher Intelligenz an. Eine KI, gleich ob regelbasiert oder auf statistischen Verfahren beruhend, kann diese Werte mit hoher Wahrscheinlichkeit als identisch erkennen und somit automatisiert doppelte Zahlungen vermeiden.

Hierzu noch ein weiteres Beispiel, um die häufige Unzulänglichkeit regelbasierter KI zu verdeutlichen:

Ein General Ledger System hat regelbasierte, präventive Kontrollen, die es beispielsweise erlauben, Eingaben zuzulassen oder zu verwerfen. Ein einfaches Beispiel ist ein Feld, welches lediglich Zahleneingaben akzeptiert: Das System lässt keine anderen Zeichen als Ziffern zu. Oder ein Feld, welches auf die Berechtigungen des Nutzers reagiert: Liegt ein Ausgabenlimit bei CHF 1’000, werden keine höheren Beträge akzeptiert.

Diese Regeln funktionieren zuverlässig und gut. Das Problem ist, dass es nicht möglich ist, präventive Kontrollen für jede mögliche unerwünschte Aktivität zu definieren. Versuche, dies zu tun, enden meist in sehr bürokratischen Systemen, welche Geschäftsaktivitäten eher behindern. Mit jeder neuen Regel werden diese Systeme schwieriger zu warten. Unter dem Versuch, alle möglichen Risiken abzuwehren, leidet die Effizienz.

Statistische Verfahren wie Machine Learning können hingegen helfen, solche Regeln automatisiert zu finden. Dies ist insbesondere hilfreich, wenn organisch gewachsene Regelwerke unübersichtlich geworden sind. Der Kompromiss dabei ist stets, dass das Ergebnis eines Machine-Learning-Verfahrens stets eine Wahrscheinlichkeitsaussage ist. «Mit 99 % Wahrscheinlichkeit ist das Ausgabenlimit für diesen Benutzer CHF 999.95, im Gegensatz zu der starren Regel «per Definition ist mit 100 % Wahrscheinlichkeit das Ausgabenlimit für diesen Benutzer CHF 1000».

Wo liegen die Grenzen von RPA?

RPA wird vielfach erfolgreich eingesetzt, um individuelle Geschäftsprozesse ad-hoc zu automatisieren. Entscheidend ist jedoch, dass RPA das Problem der Ineffizienz in Unternehmen nicht löst, wenn sie durch heterogene Datensysteme und mangelnde Interoperabilität zwischen den Systemen ausgelöst wurde. Anstelle dessen werden mit RPA lediglich die Symptome behoben und eine zusätzliche Software-Schicht über die bestehenden ineffizienten Datenstrukturen gelegt. Dabei ergibt sich jedoch eine Reihe von Problemen.

Zum ersten ist RPA nicht für das gesamte Unternehmen «skalierbar». Das bedeutet, ein RPA-Programm, welches für einen spezifischen Geschäftsprozess entwickelt wurde, kann nicht auf einfache (aka kosteneffiziente) Art und Weise an andere Geschäftsprozesse angepasst werden. Für verschiedene Prozesse müssen stets von neuem RPA-Programme entwickelt werden.

Zum zweiten bietet RPA kaum Möglichkeiten, sich dynamisch ändernden Prozessen anzupassen. Durch die Verwendung und die Abhängigkeit von Daten und Prozessen, die während der Einführungsphase von RPA-Programmen definiert wurden, ist es aufwändig, RPA Programme nach signifikanten Änderungen in Prozessen oder IT-Systemen des Unternehmens, anzupassen und weiter zu verwenden. Dies führt zum dritten Aspekt, der Abhängigkeit von RPA als Technologie im Unternehmen. Wurden erst einmal zahlreiche Prozesse durch RPA automatisiert, ist die Hürde bereits hoch, Entscheidungen zu grundlegenden Modernisierungen der IT-Landschaft hin zu offenen Systemen mit grösserer Interoperabilität zu treffen. RPA führt demnach zu einer Zementierung der bisherigen, ineffizienten IT Landschaft.

Demokratisierung von Daten die bessere Automatisierung ist

Daher empfiehlt es sich Datensysteme zu modularisieren, um dieses Dilemma aufzulösen. Anstelle komplexe Prozesse und Systeme zur Integration von Daten entlang fester Vorgaben zu designen, sollten sich Firmen darauf konzentrieren, verteilte Datenquellen zugänglich und jeden Datenpunkt über Suchmaschinen unmittelbar auffindbar zu machen.

Eine Technologie, die vollständige Interoperabilität von Unternehmensdaten ermöglicht, basierend auf einer Orchestrierung und Industrialisierung von Microservices und Open Source Software. Dies erlaubt den Mitarbeitenden unmittelbaren Zugriff auf Daten, effizienteres weil eigenverantwortliches Arbeiten und freie Korrelationsbildung von Daten aus unterschiedlichen Bereichen.

Ein entscheidender Vorteil der Daten-Demokratisierung gegenüber der herkömmlichen Anwendung von RPA und konventioneller, teurer und langwieriger IT-Transformationsprojekte ist: der Übergang hin zu Microservices kann Schritt für Schritt erfolgen. Es ist nicht notwendig, die gesamte Systemlandschaft in einem Grossprojekt umzustellen. Prozesse mit hoher Priorität sind diejenigen mit dem grössten Einsparpotential durch Automatisierung oder diejenigen mit der höchsten Wertschöpfung.

Basierend auf den im Prozess verwendeten Anwendungen und die Art und Weise, sie zu verwenden, können zielgerichtete Microservices mit APIs (Interfaces) entwickelt und so breit zugänglich wie möglich ausgestaltet werden. Versicherer und Banken gehören in der Schweiz  zu den ersten, die diesen Empfehlungen folgen und ihre bestehenden Datenbanken «API-ready» machen.

RPA als Brückentechnologie

RPA bietet in der heutigen, komplexen Systemlandschaft ein verführerisches Wertversprechen: Die übergreifende Automatisierung von Systemen, die eigentlich nicht für Interoperabilität und digitale Ende-zu-Ende Prozesse ausgelegt wurden. Nach einiger Zeit in den praktischen Anwendungen werden die konzeptionellen Schwierigkeiten von RPA jedoch sichtbar: Statische RPA Programme veralten schnell bei Prozessänderungen, ein Zoo hart-verdrahteter Programme ist schwierig zu warten, und die Abhängigkeit von den anbietenden Systemhäusern ist kostspielig.

Daher sehe ich die RPA als Brückentechnologie an. Eine zukunftsgerichtete Alternative stellt die Entflechtung der existierenden Systemlandschaften hin zu flexiblen, modularen, best-in-class Microservices dar, die über APIs miteinander kommunizieren. Für eine effektive digitale Transformation und eine erfolgreiche Anwendung von KI im Unternehmen.

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Über den Autor

Christian Spindler

Daten - ob von Maschinen, Geschäftsprozessen oder von externen Quellen - sind die Basis jedes Mehrwertes aus Digitalisierung und IoT. Mit der Software- und Modellierungs-Boutique  DATA AHEAD ANALYTICS unterstützt Sie Christian Spindler in allen Aspekten zur quantitativen Entscheidungsfindung mit Beratung, Proof-of-Concepts sowie Prozess- und Toolentwicklung. Christian Spindler hat mehr als 10 Jahre Erfahrung mit Data Science und künstlicher Intelligenz. Vor DATA AHEAD ANALYTICS war Christian Spindler Senior Manager bei der globalen Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers, wo er die IoT & AI Aktivitäten innerhalb der Data Analytics Abteilung leitete. Er führte eine Vielzahl von Analytics Projekten in Segmenten Financial Services, Manufacturing, Telecommunications, Pharma und Public Services durch. Vor dieser Station erlang Christian Spindler langjähriges Training in Simulation, Modellierung und Machine Learning durch Tätigkeiten in Managementberatung, industrieller Forschung und Entwicklung, sowie akademischer Forschung. Christian Spindler besitzt eine quantitative Ausbildung mit Doktorat in Physik and erlangte einen M.B.A. mit Auszeichnung der Hochschule St. Gallen.