So macht Human-centred Design die Produktentwicklung erfolgreicher

Wer Produkte mit einer hohen Usability entwickeln will, muss die Nutzerbedürfnisse ins Zentrum stellen. Wie dabei der Human-centred Designprozess hilft, erklärt UX-Berater und Digicomp-Trainer Thomas Messner.

Autor Thomas Messner
Datum 03.06.2019
Lesezeit 9 Minuten

Fehlen bei der Produktentwicklung fundierte Informationen über die Benutzer, ihre Aufgaben und den spezifischen Kontext, ist das Risiko hoch, Ressourcen wie Zeit und Geld zu verschwenden.

Denn so werden vor allem unternehmensinterne Bedürfnisse abgedeckt, nicht aber diejenigen der Kunden und Benutzer. Für diese ist dann weder der Nutzen gegeben, noch wird die Gebrauchstauglichkeit (Usability) den spezifischen Anforderungen gerecht – das Produkt oder der Service floppt oder bringt zumindest nicht den erhofften Erfolg.

Human-centred Design zielt darauf ab, Systeme gebrauchstauglicher zu gestalten. Dazu werden die Bedürfnisse der Menschen bereits in einer frühen Phase erfasst, kreative Lösungen ausgearbeitet, visualisiert und getestet.

Was ist Human-centred Design?

Human-centred Design (kurz: HCD) oder menschzentrierte Produktentwicklung basiert auf einem umfassenden Verständnis der Benutzer, Arbeitsaufgaben und Arbeitsumgebungen. Mit diesem Verfahren wird die Chance erhöht, dass das Produkt die Anforderungen der Stakeholder erfüllt und von den Benutzern angenommen wird. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt erfolgreich, termin- und budgetgerecht abgeschlossen wird.

Stakeholder müssen nicht unbedingt Nutzer sein

Einigen Lesern wird der Begriff User-centred Design (UCD) geläufiger sein, da er in der Praxis öfter und meist auch synonym zu HCD verwendet wird. Der Begriff Human-centred Design streicht jedoch hervor, dass sich menschzentrierte Gestaltung auf eine Reihe von Stakeholdern (andere Personen oder Organisation, die einen Anspruch oder ein Interesse auf das Produkt haben) und nicht nur auf den Benutzer bezieht.

Menschzentrierte Gestaltung ist in der Norm DIN EN ISO 9241-210 verankert und ist als Richtlinie zu verstehen. Sie unterstützt Personen, die für das Management der Gestaltungsprozesse verantwortlich sind. Ein grosser Vorteil dieses Prozesses liegt darin, dass sich menschzentrierte Gestaltung bei objektorientierter, Wasserfall- und agiler Entwicklung einbinden lässt und somit vielseitig anwendbar ist.

Die DIN EN ISO 9241-210 leistet einen wertvollen Beitrag zum einheitlichen Verständnis dieses Prozesses, weshalb nachfolgend einige wichtige Aspekte aus dieser Norm aufgezeigt werden.

5 Gründe für Human-centerd Design

Produkte mit einer hohen Gebrauchstauglichkeit (Usability) sind tendenziell erfolgreicher ­– in technischer als auch in kommerzieller Hinsicht. Zudem sind bestimmte Käufergruppen eher bereit, einen höheren Betrag zu zahlen, wenn das Produkt ihre Erfordernisse und Erwartungen abdeckt.

Als Hauptgründe für die Anwendung von menschzentrierter Gestaltung nennen die Richtlinien folgende Gründe:

  • Steigerung der Produktivität und der Wirtschaftlichkeit
  • Geringere Kosten für Schulung und Betreuung
  • Erhöhung der Gebrauchstauglichkeit
  • Reduzierung von Unbehagen und Stress
  • Verschafft einen Wettbewerbsvorteil

Menschzentrierte Prozesse unterstützen die Gestalter und Entwickler auch dabei, den Benutzer vor Gefahren für ihre Gesundheit und Sicherheit zu schützen, indem Risiken verringert und die Qualität erhöht wird.

Die 5 Phasen des menschenzentrierten Gestaltungsprozesses

Die vier Phasen des human-centred Design-Prozesses

Beim menschzentrierten Prozess handelt es sich um ein einfaches Verfahren, das aus vier Phasen besteht.

Phase 1: Nutzungskontext verstehen und beschreiben 

Die Nutzungskontextbeschreibung beinhaltet Informationen zu Benutzern und weiteren Interessengruppen (Stakeholdern), den wesentlichen Merkmalen der Benutzer oder Benutzergruppen, den Zielen und Arbeitsaufgaben der Benutzer sowie der Umgebung, in der das System verwendet wird.

Phase 2: Nutzungsanforderungen spezifizieren 

Unter Berücksichtigung des Nutzungskontextes werden die Bedürfnisse von Benutzern und weiteren Stakeholdern identifiziert und daraus Anforderungen abgeleitet (bspw. soll das Produkt im Freien verwendet werden). Aber auch Anforderungen, die aus Erkenntnissen der Ergonomie oder aus Richtlinien stammen sowie Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind dabei zu berücksichtigen.

Phase 3: Erarbeiten von Gestaltungslösungen 

Dazu sind Benutzeraufgaben sowie die Interaktionen zwischen Benutzer und Produkt inklusive der Benutzungsschnittstellen so zu gestalten, dass die zuvor definierten Nutzungsanforderungen erfüllt werden. Gestaltungslösungen lassen sich dann bspw. mit Hilfe von Szenarien oder Prototypen konkretisieren.

Phase 4: Evaluieren von Gestaltungslösungen

Gestaltungskonzepte sollten bereits früh mit realen Benutzern evaluiert werden, bspw. mittels Usability-Test. So werden einerseits neue Informationen über die Bedürfnisse der Benutzer und andererseits über die Stärken und Schwächen der Gestaltungslösung gesammelt.

Analyse zu Beginn jeder Iteration

Diese vier Phasen müssen nicht als linearer Prozess abgearbeitet werden. Wie die Grafik verdeutlicht, kann zu derjenigen Phase gesprungen werden, die für die momentane Entwicklungsphase am sinnvollsten ist. Meist ist es aber sinnvoll mit einem Analyseschritt zu starten. Sei es, um den Nutzungskontext zu verstehen oder bspw. um die Ergebnisse eines Usability-Tests zu interpretieren. Eine kurze Analyse zu Beginn jeder Iteration unterstützt eine effiziente und zielführende Weiterentwicklung.

Wichtig ist, dass der Benutzer und andere Stakeholder bereits in einer frühen Phase mit in den Prozess einbezogen werden und dass er iterativ abläuft. Denn viele Bedürfnisse und Erwartungen zeichnen sich erst im Laufe der Entwicklung, aufgrund stetigem Erkenntnisgewinns ab.

Die Methoden

Folgende Methoden haben sich beim menschzentrierten Vorgehen bewährt und werden deshalb oft eingesetzt:

  • Beobachtungen
  • Interviews
  • Fragebögen
  • Fokusgruppen
  • Personas
  • User Journey
  • Prototyping
  • Usability-Testing

Die Grundsätze

Das Produkt oder der Service wird mit Kunden bzw. Benutzern zusammen weiterentwickelt. Besonders bei der Überprüfung des Nutzungskontextes, der Anforderungen und der Zwischenergebnisse mittels Usability-Tests sind «potenzielle» Benutzer stark involviert.

Gemäss den DIN-Richtlinien sind dafür folgende Grundsätze zu beachten:

  • Umfassendes Verständnis der Benutzer, Arbeitsaufgaben und Arbeitsumgebung
  • Einbezug von Benutzern während der Gestaltung und Entwicklung
  • Stetige Anpassung und Evaluierung von Gestaltungslösungen
  • Es handelt sich um einen iterativen Prozess
  • Bei der Gestaltung wird die gesamte User Experience berücksichtigt
  • Im Gestaltungsteam sind fachübergreifende Kenntnisse und Perspektiven vertreten

Um erfolgreich Produkte zu entwickeln, ist die menschzentrierte Gestaltung in sämtliche Phasen des Produkt-Lebenszyklus (Konzeption, Analyse, Gestaltung, Implementierung, Prüfung und Wartung) zu integrieren.

Checkliste: Was ist bei der Planung zu berücksichtigen?

Folgende Checkliste können Sie als Leitfaden für Ihre Planung menschzentrierter Gestaltung verwenden:

  • Geeignete Methoden und Ressourcen identifizieren
  • Verfahren, Ergebnisse und weitere Aktivitäten definieren
  • Verantwortliche Personen und Organisationen identifizieren und definieren
  • Effektive Verfahren zum Einrichten von Rückmeldungen und zum Informationsaustausch entwickeln
  • Geeigneten Meilensteine vereinbaren
  • Angemessene Zeitvorgaben unter Berücksichtigung der Iterationen und Rückmeldungen vereinbaren

Konkretes Vorgehen an einem Beispiel eines Websiten-Redesigns

Was ist ein mögliches Vorgehen, wenn Du beispielsweise eine Website redesignst?

  1. Sammle zuerst Daten über die Benutzer, ihre Aufgaben und ihren spezifischen Kontext. Auch Informationen vom Support sind dabei sehr wertvoll.
  2. Mit den gesammelten Daten erstellst Du Personas und Use Cases und wenn hilfreich Customer Journeys. Existieren bereits solche Artefakte vergleiche und aktualisiere sie anhand der neusten Daten.
  3. Nun willst Du herausfinden welche Anforderung die bestehende Website bereits gut erfüllt und wo allenfalls die Probleme liegen. Dazu hilft Dir ein Usability-Test. Für die Rekrutierung der Testpersonen werden die in den Personas definierten Kriterien berücksichtigt.
  4. Nach dem Test analysierst und priorisierst Du mit Deinem Team die Ergebnisse und visualisierst die ersten konzeptionellen Änderungen in einem Prototoyp. Beschränke Dich zu Beginn jeweils auf die Haupterkenntnisse und verfeinere Schritt für Schritt das Konzept und das Vorgehen. So behältst Du stets den Überblick.

(Quelle: Deutsches Institut für Normung e.V. EN ISO 9241-210 (DIN EN ISO 9241-210). (2010). Ergonomie der Mensch-System-Interaktion – Teil 210: Prozess zur Gestaltung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme. Berlin: Beuth.)

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Über den Autor

Thomas Messner

Thomas Messner ist Senior UX-Consultant bei Soultank. Neben seiner Tätigkeit als Experte für User Experience, Usability und User Centred Design gibt er bei Digicomp Einführungskurse.