Müssen Lehrpersonen Social-Media-Profis sein?

Wie bringt man Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz bei, wenn sie doch eh schon den ganzen Tag am Handy sind? Ein Gespräch mit Medienexperte Andi Wullschleger.

Autor Sheila Karvounaki
Datum 25.03.2019
Lesezeit 8 Minuten

Wie bringt man Kindern und Jugendlichen Medienkompetenz bei, wenn sie doch eh schon den ganzen Tag am Handy sind? Oft geht bei dieser Frage vergessen: Die jungen Generationen kennen zwar die neusten digitalen Trends, können die Inhalte und den Umgang damit aber oft nicht richtig einordnen. Hier sind die Lehrpersonen gefragt.

Die sogenannte Digitalisierung hat die Gesellschaft bereits bis in die letzten Ecken durchdrungen. Kindern wird das Smartphone praktisch in die Wiege gelegt – laut der James-Studie der ZHAW haben 99% der Jugendlichen in der Schweiz ein Smartphone. Diese Tatsache stellt die Schulen vor eine grosse Aufgabe: Wie sollen Schülerinnen und Schüler auf das spätere Leben und die Arbeitswelt vorbereitet werden, wenn es in fünf Jahren schon wieder neue Technologien gibt, die man sich heute noch nicht mal vorzustellen vermag? Dabei setzen Buzzwords wie «Fake News» grosse Fragezeichen. Das Wichtigste sei es, den Fokus auf den bewussten Umgang und weniger auf die Nutzung zu legen, sagt Andreas Wullschleger, Experte für Medienkompetenz, Geschäftsführer von Medienverstehen.ch und Digicomp Kursleiter.


Andreas, du bildest Lehrpersonen in Medienkompetenz weiter. Wieso ist das Wissen über die Mediennutzung besonders heute so wichtig?

Das spricht gleich einen zentralen Punkt an. Es ist eben nicht wichtig, den jungen Generationen zu zeigen, wie sie Medien nutzen sollen. Das können sie sowieso schon intuitiv. Wichtig ist es – und wird es immer mehr – ihnen den bewussten Umgang mit Medien und deren Inhalten aufzuzeigen.

Das heisst konkret?

Was bedeutet es, wenn ich als 12-jähriges Mädchen ein Selfie am Strand in den Ferien auf Instagram poste? Was sind die Folgen, wenn ich jemanden auf WhatsApp fertig mache? Wie weiss ich, dass das Video auf Snapchat wirklich echt ist? Kinder und Jugendliche sind sich oft nicht bewusst, was ihr mediales Verhalten auslösen kann und was die Folgen davon sind. Dort müssen wir ansetzen.

Wie schlägst du vor, soll das umgesetzt werden?

Ein guter Anknüpfungspunkt liefert der Lehrplan 21. Dort wird endlich festgehalten, dass die Kompetenz, Medien zu verstehen, wichtig ist. Leider ist das Fach ‹Medien› aber an Informatik gekoppelt. Da bin ich etwas besorgt, dass Informatik von den Schulen übergewichtet wird.

Wieso?

Informatik ist heute mehr denn je in aller Munde. Gross wird in Politik und Gesellschaft von der Digitalisierung, der Industrie 4.0 oder noch vor ein paar Jahren vom Web 2.0 gesprochen. Das sind alles Modewörter, die nichts Genaues beschreiben. Digitalisierung ist per Definition die Überführung von analogen Systemen in digitale Systeme. Also etwa die Verwendung eines Computers zum Texte schreiben, anstatt einer mechanischen Schreibmaschine.

Das sind Begriffsdefinitionen – dies ändert doch am Problem nichts?

Doch das ist sogar sehr zentral. Viele Lehrpersonen sagen in meinen Kursen, sie würden sich nicht auskennen mit all den Social-Media-Plattformen und könnten doch nicht jedes Jahr einen neuen Kurs besuchen, um alle neuen Plattformen kennenzulernen. Lehrpersonen müssen aber gar keine Profis für Social Media sein. Solche Plattformen kommen und gehen. Das Zentrale ist dabei, wie wir Kindern und Jugendlichen den bewussten Umgang mit den Inhalten lehren.

Aber ganz weg vom Fenster dürfen Lehrpersonen auch nicht sein.

Nein, das ist schon klar. Und ich höre auch immer wieder haarsträubende Anekdoten von Lehrpersonen, die sich scheinbar mit Händen und Füssen gegen die Verwendung digitaler Hilfsmittel im Unterricht wehren – oder sich einfach nicht damit befassen wollen.

Zum Beispiel?

Eine Lehrerin sollte der Schulleitung einen Bericht über einen Weiterbildungskurs, den sie besucht hat, abgeben. Zehn Seiten waren gefordert, zehn Seiten hat sie abgegeben. Doch als der Schulleiter das E-Mail mit dem Bericht öffnete, war er verblüfft. Die Lehrerin hatte zwar zehn Seiten geschrieben, aber jede Seite einzeln im Word abgespeichert. Der Schulleiter hatte also zehn einzelne Word-Dokumente erhalten, mit je einer Seite. Das ist kein Lehrer-Witz, sondern tatsächlich so passiert. Besonders tragisch an der Geschichte: Die Lehrerin unterrichtet künftig das Fach Medien und Informatik.

Aber das ist sicher eher ein Einzelfall.

Natürlich. Aber diese Lehrerin steht exemplarisch für ein grosses Problem, das wir im Moment haben: Der Lehrplan 21 schreibt Kompetenzen vor, welche die Lehrpersonen selbst noch nicht einmal haben.

Die Lehrpersonen werden ja aber weitergebildet.

Richtig, und das funktioniert anscheinend auch sehr gut. Die Pädagogische Hochschule Zürich etwa, wird mit Anfragen zur Weiterbildung im Fach Medien und Informatik überrannt und es müssen Kurse doppelt geführt werden. In der Weiterbildung der Lehrpersonen liegt meiner Meinung nach aber auch nicht der Kern des Problems.

Wo dann?

Der Lehrplan 21 versteht sich als Leitfaden. Es werden Kompetenzen formuliert, welche ein Kind mit einem gewissen Alter können sollte. Zum Beispiel heisst es dort für die Sekundarstufe: ‹Die Schülerinnen und Schüler können allein und in Arbeitsteams mit medialen Möglichkeiten experimentieren und sich darüber austauschen.› Diese Beschreibung lässt viel Interpretationsspielraum – zu viel.

Das könnte doch aber auch ein Vorteil für die Lehrpersonen sein, sich kreativ einzubringen?

Es kann aber auch zur Verunsicherung führen. Nämlich genau dann, wenn Lehrpersonen sowieso schon verunsichert sind, wie sie das Thema Medien im Unterricht behandeln sollen. Hier sehe ich, dass es zum Teil viel Goodwill ist von den Lehrpersonen, wenn sie etwa die Behandlung von journalistischen Medien im Unterricht einbeziehen.

Die Einbeziehung journalistischer Medien in die Diskussion um Medienkompetenz ist dir wichtig. Haben diese nicht auch mit einem Vertrauensverlust zu kämpfen?

Fake News und Lügenmedien ist das Framing von Populisten. Es widerspiegelt in keiner Weise die aktuelle Situation. Die Qualität der Medien ist weiterhin auf einem hohen Niveau. Sie hat zwar unter anderem wegen der Sparmassnahmen bei den Verlagen etwas abgenommen, aber journalistische Medien sind und bleiben die sogenannte vierte Säule unserer Gesellschaft. Ohne sie gäbe es keine Demokratie und auch kein gesellschaftliches Miteinander.

Aber wo ist da die Verbindung zu den digitalen Medien, wie Facebook und Instagram?

Facebook und Instagram sind reine Trägermedien. Die Information kommt nicht vom Facebook-Konzern selbst. Aus diesem Grund sind diese Organisationen höchst überfordert mit der Verbreitung von Informationen, die hinters Licht führen sollen bzw. die absichtlich falsch sind. In diesem Wirrwarr von Informationen helfen uns journalistische Medien. Sie ordnen ein, liefern faktenbasierte Informationen und decken auf. Das ist eine ungemeine Leistung, welche den jungen Generationen vermittelt werden muss. Und dies eben bereits im Schulalter, als Teil der grundlegenden Nutzungskompetenz.


Dass Wissen rund um Digital in der heutigen Gesellschaft eine integrierende Funktion hat, zeigt auch das Projekt «LernLokal Computerkurse» von Caritas. Es hat zum Ziel, armutsbetroffenen Menschen die wirtschaftliche und soziale Integration zu ermöglichen. Renata Gattella, Leitung des «LernLokal» dazu:

«Computer und Internet sind aus dem modernen Leben nicht mehr wegzudenken. Wer damit nicht umzugehen weiss, hat Mühe am beruflichen und gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Vielerorts fehlen aber adäquate Bildungsangebote für Menschen, die mit knappem Budget leben müssen. Darum befähigt und fördert Caritas Zürich mit dem Projekt «LernLokal Computerkurse», die wirtschaftliche und soziale Integration von armutsbetroffenen Menschen.»


Über den Autor

Sheila Karvounaki

Sheila Karvounaki Marti hat Journalismus und Organisationskommunikation studiert und hat sich über die Jahre auf Online-Kommunikation spezialisiert. Sie ist Community Managerin bei Digicomp und berät als Freelancerin verschiedene KMU bei ihren Online-Aktivitäten. Sie war Leiterin Kommunikation & Community Management an der SOMEXCLOUD GmbH und 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, im Bereich der Projektleitung und -organisation sowie in der Forschung tätig.