Effiziente Prozesse: das Richtige tun, bevor man es richtig tut

Markus Wissekal begleitet Unternehmen bei der Digitalisierung von Prozessen. Er nimmt uns in seiner neuen Blogserie mit in die Welt von Effizienz und Effektivität. In diesem ersten Beitrag zeigt er, dass interne Effizienz nicht immer auch Effizienz für den Kunden bedeutet, und wie die Metrik der Flow-Efficiency bei diesem Problem helfen kann.

Autor Markus Wissekal
Datum 05.11.2018
Lesezeit 9 Minuten

Als Trainer und Coach, der oftmals bei der Digitalisierung von Prozessen unterstützt, werde ich oft um Hilfe gebeten, wenn diese Prozesse effizienter – ähnlich einer gut geölten Maschine – funktionieren sollen. In meinem ersten Beitrag möchte ich Sie mitnehmen in die Welt von Effizienz und Effektivität und aufzeigen, was die Metrik der Flow-Efficiency damit zu tun hat.

Langjährige Erfahrung in der Anwendung von Kanban hilft mir ungemein beim Effizienter-Machen von Prozessen – hat Kanban doch den Ruf, einen Grossteil der Automobilindustrie fit fürs neue Jahrtausend gemacht zu haben. Man möge nur an Toyota, Nissan oder andere hocheffiziente Firmen denken, die sich mit Kanban an die Weltspitze gearbeitet haben. Diese in der Fertigung eingesetzten Praktiken eignen sich aber auch hervorragend, um die Wertschöpfung «unsichtbarer» Arbeit (die in den Köpfen der Mitarbeiter passiert) zu verbessern. Dieser Ansatz, – mit Kanban – unsere heutige Arbeitswelt zu verbessern, wird sich durch meine nächsten Blog-Posts ziehen.

Viele Firmen stehen vor dem Problem, dass Prozesse der Wertschöpfungskette in ihren jeweiligen Schritten hocheffizient sind, der gesamte Prozess aber nicht mehr die Effektivität bringt, die man sich davon erhofft.

Um gemeinsam das gleiche Verständnis von Effizienz und Effektivität zu haben, möchte ich die folgenden Definitionen zur Verfügung stellen.

Was verstehen wir unter Effizienz?

Effizienz steht für das Verhältnis zwischen Leistung (Kosten) und Ertrag (Gewinn).

Mit anderen Worten, stellt die Effizienz das Verhältnis von Input zu Output dar. Sie entspricht oftmals der Wirtschaftlichkeit oder dem Credo, etwas wirklich «richtig» zu machen.

Und was bedeutet Effektivität?

Effektivität meint die Wirksamkeit einer durchgeführten Massnahme oder erbrachten Leistung in Hinblick auf das angestrebte Ziel.

Sie stellt also das Mass der Zielerreichung dar, das Verhältnis vom Angestrebten zum Erreichten. Der zugrunde liegende Aufwand spielt bei der Effektivität keine Rolle.

Das Credo für Effektivität ist, das «Richtige» zu tun.

Beispiel Zappos – Das Richtige tun

Ein schönes Beispiel für diesen Unterschied sind die ersten Schritte von Zappos, der amerikanischen Inspiration für Zalando. Die Gründer von Zappos wollten zu Beginn des neuen Jahrtausends herausfinden, ob es einen Markt für Online-Schuhkäufe gibt (dies war in Zeiten vor Amazon noch durchaus fraglich), um im Positivfall Zappos als E-Commerce-Unternehmen zu gründen. Sie hatten sich zuerst darauf fokussiert, wirksam die Frage nach dem Markt zu beantworten.

Dies taten sie mit einem höchst ineffizienten Prozess: Sobald Bestellungen über die Webseite oder per E-Mail eingingen, liessen sie Mitarbeiter Schuhe in Läden kaufen, um diese anschliessend per Post zu versenden. Investitionen für Lagerhaltung, Infrastruktur udgl. waren aber gerade dank diesem ineffizienten Prozess nicht nötig.

Selbstverständlich ist dieses Vorgehen, die Mitarbeiter bei der Konkurrenz Schuhe kaufen zu lassen und diese manuell zu versenden, kein skalierendes Business-Modell.

Die innovative Frage, ob es einen Online-Markt für Schuhe gibt, war aber eindeutig geklärt. Nach dieser Erkenntnis begann der schwierige Weg für Zappos. Zuerst mussten die richtigen Kundensegmente, Mitarbeiter und Prozesse gefunden und damit iterativ nötige Investitionen in Infrastruktur, Inventar, Webseite, Call-Center uvm. getätigt werden. Erst danach wurden zugrunde liegenden Prozesse Schritt für Schritt effizienter gemacht oder gänzlich automatisiert.

In unserer digitalen Zeit ist es sinnvoll, zuerst das Richtige zu tun, bevor man anfängt, es richtig zu tun.

Effizienz für wen?

Eine der wichtigen Fragen bezüglich Effizienz haben wir bisher noch nicht betrachtet: Wer soll denn der Nutzniesser von Effizienz sein? Wollen wir eine effiziente Unternehmung für die Aktionäre, für die Mitarbeiter (z.B. in der Buchhaltung) oder aber für unsere Kunden sein und deren Bedürfnisse möglichst schnell erfüllen?

Der Kundenfokus ist ein zentraler Punkt in den Prinzipien des «Service Delivery», die Kanban zugrunde liegen. Ihnen zufolge können wir nur nachhaltig arbeiten, wenn den Bedürfnissen der Kunden Rechnung getragen wird. Ohne einen Kunden, der von unseren Leistungen profitiert, wird es uns nicht lange geben.

Unternehmen vergessen leider viel zu oft, dass dem Kunden die Strukturierung des Unternehmens, Beförderungen ins Kader, die Vorsitzenden des Aufsichtsrats oder auch die Aktionäre vollkommen egal sind, solange er mit der Servicequalität der gebotenen Leistungen zufrieden ist.

In vielen Bereichen des täglichen Lebens ist ein Mass der Servicequalität die vom Kunden erfahrene Effizienz des Prozesses (die ich der internen Effektivität gleichsetze). Diese kann sich drastisch von der erlebten Effizienz der Mitarbeitenden unterscheiden.

Service-Qualität für den Kunden

Sehen wir uns doch das Beispiel eines IT-Infrastruktur-Teams näher an, das seinen Prozess effizienter gestalten sollte. Nach einer Stunde fokussierter Arbeit können wir einen ersten Entwurf Ihres gegenwärtigen Arbeitsflusses aufzeichnen.

Dieser sieht inklusive der Wartezeiten (unten mit «w4…» gekennzeichnet) folgendermassen aus:

  • Eingang einer Anfrage (bzw. w4Dispatching)
  • Dispatching der Anfrage an einen geeigneten Mitarbeiter
  • w4Analyse (der Mitarbeiter kümmert sich darum, sobald er «frei» ist)
  • Analyse der Anfrage durch den Mitarbeiter und oftmals: Rückfragen an den Kunden
  • w4Antwort (leider sind Anforderungen in Prosa-E-Mails missverständlich)
  • Auswahl einer Standardkomponente (Prüfen der Anforderung)
  • w4Zustimmung (Kaufentscheidungen mussten vom Vorgesetzten genehmigt werden)
  • w4Bestellen (wenn der Mitarbeiter wieder verfügbar ist, macht er die Bestellung über ein Tool und übergibt damit die Verantwortung an den Einkauf)
  • w4Lieferung
  • Die Komponente konfigurieren und im Testsystem betreiben
  • QS-Doku ausfüllen
  • w4Prod
  • Die Komponente ins Produktiv-System bringen oder versenden
  • Den Anfrage-Steller informieren
  • w4UAT (User-Akzeptanz-Test, inkl. Bestätigung der Schliessung des Anfrage)
  • Den Prozess abschliessen

Einigen von uns würde nun in den Sinn kommen, den Mitarbeiter möglichst ressourceneffizient einzusetzen und ihn im Fall von Wartezeiten (w4… Zustände) einfach an anderen Anfragen arbeiten zu lassen, damit er nicht Däumchen dreht.

Und so wechselt der Mitarbeiter zu einer anderen Aufgabe und in einem weiteren Wartefall zur dritten Aufgabe. Selbst wenn die Antwort des ersten Kunden da wäre, könnte der Mitarbeiter diese erst wieder bearbeiten, wenn er mit einer der anderen Aufgaben fertig ist. Zudem muss er in diesem Fall die Anfrage des ersten Kunden auch prioritär behandeln, sprich, diese tatsächlich auswählen.

Dies führt in vielen Fällen dazu, dass zwischen dem Eingang einer Anfrage und dem Abschluss dieser Anfrage Wochen vergehen können.

Der Mitarbeiter scheint für das Unternehmen effizient eingesetzt. Effizienz für den Kunden sieht aber anders aus.

Eine Visualisierung der wahren Arbeitszeiten (blau) im Vergleich zu den Wartezeiten (hellblau) des vorherigen Prozesses könnte beispielhaft so aussehen:

Flow-Efficiency

Als Take-Away dieses ersten Blog-Posts, möchte ich Sie auf die Metrik der «Flow-Efficiency» aufmerksam machen. Mit ihr wird die Effizienz des Flusses der Arbeitsergebnisse in Richtung des Kunden gemessen.

Es wird das zeitliche Verhältnis der wertschöpfenden Tätigkeiten zur kompletten Durchlaufzeit (wertschöpfende Tätigkeiten plus Wartezeiten, Handovers und blockierte Zeiten) eines gewünschten Lieferobjekts gemessen. Flow-Efficiencies von 1–5% sind die Regel, >10% leider nur die Ausnahme.

Die Flow-Efficiency des obigen Prozesses könnte wie folgt aussehen (Arbeitszeiten (blau), Wartezeiten (weiss)):

Kennen Sie Ihre Flow-Efficiency? Betreiben Sie aktives Management der wartenden und blockierten Lieferergebnisse? Wenn nicht, ist mein nächster Blog-Post bestimmt etwas für Sie. Wenn Sie sich so lange nicht gedulden möchten, kommen Sie doch zu meinem nächsten Kanban System Design-Kurs.

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Kanban ist eine agile Methode für evolutionäres Change-Management. Lernen Sie die beliebte Technik zur Prozesssteuerung in unseren Seminaren kennen.

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Über den Autor

Markus Wissekal

Markus Wissekal ist das, was man als agiles Taschenmesser beschreiben könnte: akkreditierter Kanban Trainer, Scrum Professional, systemischer Coach, Design Thinker, Lean-Experte, Lego Serious Play Facilitator, Medizininformatik-Absolvent sowie Unternehmensberater. Diese spezielle Kombination aus Technik, Business und lösungsorientierten Denkansätzen wendet er seit über 10 Jahren in der Arbeit mit unterschiedlichen Unternehmensebenen an - egal, ob es dabei um den fokussierten Projektstart, die Effektivitätssteigerung agiler Teams, das Programm-Management im mehrstelligen Millionenbereich oder ein Sparring auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung geht. Seit 2017 ist Markus Wissekal nun gemeinsam mit Stefan Kinigadner mit der coach und coach GmbH unterwegs, um sowohl die Innovationskraft als auch die Produktivität der einzelnen Menschen, Teams und Organisationen in der DACH-Region zu stärken.