Interkulturelle Kompetenz – braucht es wirklich eine weitere Führungskompetenz?

HR-Expertin & Digicomp Trainerin Ines Doherr erklärt, weshalb es unumgänglich ist, sich als Führungskraft mit interkultureller Kompetenz auseinanderzusetzen und diese zu stärken.

Autor Ines Doherr
Datum 25.06.2018
Lesezeit 10 Minuten

Um es vorwegzunehmen: ja und unbedingt braucht es die interkulturelle Kompetenz. Die Führungskompetenzen der New Work sollten um die Fähigkeit zur interkulturellen Führung erweitert werden, denn ein intelligentes Nutzen der kulturellen Vielfalt bedeutet, zukunftsfähig zu bleiben.

In der heutigen Arbeitswelt begegnen Führungskräfte einer sich stets verändernden Umgebung, variierenden Strukturen, häufig wechselnden Aufgaben und einer immensen Informationsflut. Arbeitsgruppen und Teams, die heute international besetzt sind, generieren zusätzliche Anforderungen an das Führungsverhalten. Neben der notwendigen Flexibilität gehört zum neuen Führungsalltag die Fähigkeit, die Motivation sowie das Verhalten des jeweils Anderen richtig zu deuten, kulturelle Unterschiede adäquat zu berücksichtigen und für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zu nutzen. So können zum Beispiel Differenzen im Kommunikationsverhalten sowie in Bezug auf das Zeitverständnis bei der Planung und Umsetzung von internationalen Projekten zu Missverständnissen, Frustrationen und letztlich auch zu finanziellen Einbussen führen. Die Basis für das erfolgreiche Gelingen von Führung und Zusammenarbeit im kulturübergreifenden Kontext stellt daher eine Sensibilisierung für die kulturbedingten Unterschiede und deren Reflexion darüber dar. Beispielsweise sind in der osteuropäischen Kultur aufgrund ihrer beziehungsorientierten Geschäftskultur, Spezifikationen und Beschränkungen im Unterschied zur westlichen zielgerichteten Unternehmenskultur zu beachten. Anders als westeuropäische Länder ziehen Firmen in Osteuropa und Russland ihre Effizienz und Motivation aus einer guten persönlichen Beziehung. Ein Projekt mit ihrer Beteiligung gewinnt dann an Effizienz, wenn eine gute Beziehung aufgebaut wurde und hat Einfluss auf den Informationsfluss, die Entscheidungsfähigkeit sowie die Führungs- und Fehlerkultur.

Besteht Ihr Team aus Menschen der unterschiedlichsten Länder und/oder Kulturen? Haben Sie internationale Geschäftsbeziehungen oder Standorte im Ausland? Sind Sie mit Ihrem Diversity Management gut für die Zukunft gewappnet? Und was haben interkulturelle Kompetenzen mit der Unternehmenskultur zu tun?

Die eigene interkulturelle Kompetenz – mehr als ein gutes Diversity Management?

Interkulturelle Führung beschreibt das Steuern von Teams mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen, die sich in spezifischen Denk-, Fühl- und Handlungsmustern unterscheiden, und das vor allem von denen der Führungsperson selbst. Dies kann zum einen die Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter oder von Führungskraft zu Führungskraft im Aussenverhältnis bzw. Interaktionen im Innenverhältnis betreffen. Es genügt heute nicht mehr, sich mit Diversity-Programmen als international ausgerichtet zu präsentieren, denn Diversity existiert bereits. In einer nächsten Stufe geht es darum, die vorhandene Kulturvielfalt in allen Unternehmensbereichen positiv und aktiv auszuschöpfen und in Mehrwert umzuwandeln. Das Management sollte fähig sein, einprägsame und realistische Unternehmenswerte zu entwickeln und die interkulturelle Vielfalt unternehmensweit zu nutzen. Offenheit und Respekt für Andersartigkeit stehen dabei im Vordergrund, sie manifestieren sich in einem interkulturellen Führungsstil und fliessen in eine interkulturelle Führungskommunikation ein.

Kernthema der interkulturellen Kompetenz ist das Wissen um die Unterschiede mit dem Fokus auf die Führung und Kommunikation als Herzstück. Wissenschaft und Fachwelt beschäftigen sich seit Jahren mit der Notwendigkeit der Synergienutzung der kulturellen Diversität als Schlüssel-Leadership-Thema. Die neue Generation Mitarbeitende verlangt interkulturelle Führung. Stellen Sie Ihre Teams aus den unterschiedlichsten Unternehmensbereichen sowie interkulturell zusammen und Sie holen im Sinne der Innovationskraft das Beste aus ihnen heraus. Wer Interesse aneinander hat und sich verstanden fühlt, bleibt, teilt sein Wissen und bringt damit motiviert den gewünschten Mehrwert in das Unternehmen.

Wandel in der Unternehmenskultur – der Mensch rückt wieder in den Mittelpunkt

Der Erfolg eines Unternehmens steht und fällt mit seiner Kultur. Die bewusste Auseinandersetzung und Wertschätzung mit der Unternehmenskultur zeigt sich eindeutig als Wettbewerbsvorteil, Unternehmenskultur wird zunehmend als ein Handlungsfeld wahrgenommen. Der «Charakter» einer Organisation wird neben der Historie über ihre Wertvorstellungen, Leitsätze, Gewohnheiten sowie ihre Lernfähigkeit geprägt. Zu den wahrnehmbaren Faktoren gehören Sprache, Dresscode, Bürogestaltung genauso, wie Führungsinstrumente, interne Kommunikation und das Wertesystem. Während sich ähnliche Werte in der Zusammenarbeit allgemein förderlich auswirken, können Werte aus interkulturellem Umfeld die Auslegung von Verhaltensweisen erschweren. Kultur, Kommunikation und Führung sind die existentiellen Themen auf dem Weg in die Arbeitswelt 4.0. Der komplexe Führungsalltag in Organisationen wird dabei in der Regel durch Führungsgrundsätze sowie die Bereitstellung erprobter Instrumente unterstützt und ist eingebettet in die jeweilige Unternehmenskultur, ein scheinbar weicher Faktor mit Potenzial zu durchaus harten Folgen.

Veränderungsprozesse sind heute dann erfolgreich, wenn Organisationen nachhaltiges Wachstum durch Innovation und Qualität verstehen und einen kulturellen Wertewandel herbeiführen, denn die digitale Transformation ist weniger eine rein technologische als vielmehr eine menschliche Herausforderung. Unternehmen sind daher nicht nur in der Neuausrichtung ihrer Geschäftsmodelle gefordert, sondern es bedarf eines Culture-Changes – der Mensch rückt wieder in den Fokus. Das bedeutet, dass Führungskräfte und Mitarbeitende sich auf Augenhöhe begegnen, Mitgestaltung und Dialog-Kommunikation genutzt wird und die Veränderung im Mindset stattfindet, vor allem beim Management selbst. Es ist essentiell für erfolgreiche Leader, dass sie Anpassungsschwierigkeiten der Organisation und ihrer Mitarbeitenden an sich verändernde Umweltbedingungen frühzeitig erkennen und aktiv bearbeiten. Dafür ist die Fähigkeit wichtig, die Grenzen der Anpassungsfähigkeit der eigenen Unternehmenskultur wahrzunehmen und selbst kulturelle Veränderungen anzustossen. Um in der agilen Arbeitswelt erfolgreich zu sein, sollten Führungskräfte daher konsequent die Rolle des gestaltenden «Change Agents» einnehmen. Zu den Meilensteinen in Transformationsprozessen gehört auch das Überwinden von Widerständen und Ängsten, ebenso bei der Implementierung der interkulturellen Kompetenz. Vor allem Sprachbarrieren, soziale Konflikte sowie ein Führungsstil, der das Global Mindset nicht vorlebt, können mit einer Kultur des gegenseitigen Vertrauens und offener Kommunikationskanäle überwunden werden. Ein starkes und bestmöglich auf die interkulturellen Anforderungen zugeschnittenes HRM kann für das Management der geeignete Partner sein, denn es ist mit seinen Change-Spezialisten ebenfalls angehalten, Wachstumspotenziale der Globalisierung nutzen zu können und verzahnt die passende Personalstrategie mit der Unternehmensstrategie.

Kulturelle Vielfalt richtig managen

Die intelligent genutzte Vielfalt ist ein überlebenswichtiger Zukunftsfaktor geworden. Moderne Konzepte wie z.B. von Dr. Peter Kinne (Quelle: Diversity 4.0, Springer Verlag, 2016) mischen bewährtes Managementvorgehen mit kreativer Kompetenz. Wissen, Methoden und Konzepte allein sind jedoch nicht ausreichend. Am Anfang steht ein klares Bekenntnis des Managements zur Nutzung der interkulturellen Vielfalt sowie das Vertrauen, dass langfristig ein greifbarer Return-on-Invest entstehen kann. Das kommt einem Paradigmenwechsel gleich, der nur mit mutiger und fortschrittlicher Herangehensweise gelingen kann. Damit die Mitarbeiterführung in interkulturellem Kontext gelingen kann, hilft Wissen beim Verständnis. Welche kulturellen Unterschiede können die Zusammenarbeit auf welche Weise beeinflussen? Welche Konflikte sind vorprogrammiert, wenn die Kulturen aufeinanderprallen? Wie gelingt es trotz der grossen Vielfalt an kulturellen Prägungen, eine gemeinsame Unternehmens- und Organisationsidentität aufzubauen? Darüber hinaus sollte ein selbstreflexives Bewusstsein über den Einfluss der eigenen kulturellen Prägung vorhanden sein sowie ein Verhaltensrepertoire, das dazu befähigt, mit fremdkulturellen Teams wertschätzend umzugehen, diese zu motivieren und erfolgreich zu führen. Und nicht zuletzt müssen bewusst und konsequent die bewährten Techniken erlernt und angewendet werden sowie Ressourcen bereitgestellt werden, die die interkulturelle Kompetenz erfordert.

Fazit

Meine Erfahrung mit kulturell unterschiedlichen Teams hat mich davon überzeugt, dass wir grundlegend darüber nachdenken müssen, wie wir die Unterschiede zwischen Menschen zeigen, nutzen und vor allem ein Umfeld schaffen, in dem Kooperationen zum Daily Business gehören. Wer international erfolgreich agieren will, ist gut beraten, sich den aktuellen globalen Herausforderungen und ihren Wechselwirkungen zu stellen. Insgesamt reicht es nicht mehr aus, nur mit Spitzentechnologie und -produkten zu punkten. In Zukunft werden daher vor allem Führungspersönlichkeiten benötigt, die interkulturell agieren und neue Gegebenheiten schnell adaptieren können. Als erfahrene HR-Expertin freut es mich zu beobachten, dass der Fokus bei der Suche geeigneter Führungskräfte neben der professionellen Qualifikation verstärkt auf interkulturellen Kompetenzen und sozialer Sensibilität liegt. Diese zentrale Aufgabe der Rekrutierung muss das HR bewältigen können, die Stärkung des HR-Managements ist deshalb ein ebenso wichtiger Bestandteil des internationalen Entwicklungsprozesses. Interkulturelle Kompetenz verlangt, dass wir das, was wir tun, überdenken und erweitern.


Über den Autor

Ines Doherr

Die Human Ressource beschäftigt die Betriebswirtschafterin schon ihr Berufsleben lang. Nach ihrem Pädagogik-Studium begann sie ihren Praxiseinstieg zunächst als Lehrerin für Deutsch und Mathematik. Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung wechselte sie nach über zehn Jahren zu einem Dienstleistungsunternehmen und verantwortete als HR-Projektleiterin mehrere Jahre das Change Management internationaler KMU und Grossunternehmen der Automobilzuliefererindustrie in Deutschland. In den zurückliegenden zehn Jahren war die Generalistin als Personalverantwortliche in unterschiedlichen Unternehmen tätig und kennt alle Facetten der Personalarbeit in Deutschland und der Schweiz. Ihre Arbeits- und Beratungsschwerpunkte liegen im strategischen und operativen HRM, in der Begleitung von Transformationsprozessen sowie dem Leadership-Management. Ihr umfangreiches Wissen sowie ihre breiten Erfahrungen gibt Ines Doherr seit vielen Jahren als Dozentin und Referentin weiter. Die leidenschaftliche HR-Expertin ist heute auf den Bereich „Digital Leadership & Transformation“ spezialisiert.