SOMEXCLOUD goes re:publica - Tag 1

Autor Sheila Karvounaki Marti
Datum 05.05.2015
Lesezeit 9 Minuten

Am ersten Tag zeigen sich die Organisatorinnen und Organisatoren der re:publica  gnädig: Beginn ist um 10.00 Uhr. So hat man wunderbar Zeit, nochmals das Programm durchzugehen, alle Ladekabel einzupacken, “seine” Leute noch anzuzwitschern und bei milden 16 Grad Aussentemperatur gemächlich in Richtung STATION Berlin zu laufen.


Auf dem Programm stehen viel zu viele Sessions, denn die Auswahl ist breit und das Interesse noch breiter. HInzu kommt, dass man alle 20 Meter einem bekannten Gesicht begegnet und zuerst einmal alle News austauschen muss.

Mein liebster Ort an der re:publica

Tatsächlich geschafft habe ich es heute in 2.5 Sessions – wobei ich zu meiner Ehrenrettung anmerken möchte, dass ich den Rest des Nachmittags arbeitend verbracht habe, auf den altbekannten grauen Stufen inmitten der grossen Halle.

Bereits letztes Jahr war dies mein Lieblingsort. Nicht nur, weil dort ganz viele Steckdosen zum aufladen jeglicher Akkus vorhanden sind, sondern vielmehr, weil man dort so quasi aus dem Ganzen heraus das Treiben beobachten kann. Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass ich an diesem Ort jedes Mal den Wunsch verspühre, eine Sozialstudie zu machen. Vollbracht habe ich es bis anhin nicht, aber man weiss ja nie…

Vom kaputten System – Session Nr. 1

 

Doch zurück zu den wirklich wichtigen Inhalten: Als erste Session besuchte ich “The system is broken – and that’s the good news” mit Ethan Zuckerman. In seinem Vortrag ging Zuckerman der Frage nach, wie sich ein System bzw. eine Gesellschaft anders verändern lässt, als durch das klassische Mittel der Wahlen. Der Grund für seine Fragestellung ist offensichtlich: Die Wahlbeteiligung, insbesondere bei der jüngeren Generation, nimmt stetig ab. Partizipation ist jedoch das Kernelement, will man ein System verändern. Wie also bringt man Partizipation zustande? Wo ist die Partizipation der Leute geblieben?

Neue Art der Partizipation

Zuckerman stellte in seinem Referat eines fest: Die Partizipation ist nicht verschwunden, sie hat sich einfach verändert. Eigentlich, so strich er heraus, partizipieren heutzutage mehr Menschen als früher. Beispiele dafür sind die Proteste in den USA in Bezug auf den Tod schwarzer Bürger_innen durch die Polizei oder der arabische Frühling. Immer öfter tun sich Menschen zusammen, um auf Dinge hinzuweisen, die sie nicht goutieren. Das Problem dabei ist, dass diese Kräfte zu langsam greifen bzw. es zu lange dauert, bis deren Auswirkungen auf das politische Parkett schaffen.

Hinzu kommt, dass “politics has been reduced to adjusting to the financial markets”, so Zuckerman. Was wiederum bedeutet, dass die Politik für eine gesellschaftliche Veränderung gar nicht mehr ausschlaggebend ist oder sein kann. Regierungen sind schwächer, als wir es denken.

Vom grossen Misstrauen

Ein weiterer und von Zuckerman betonter Punkt ist der des Misstrauens. Immer grössere Anteile der Gesellschaft misstrauen, der Regierung, den Unternehmen, den NGOs. Wie also bringt man die Menschen dazu, sich einer Sache, die gesellschaftsrelevant ist, zu widmen, sich dafür einzusetzen, zu partizipieren? Wie gewinnt man ihr Vertrauen? Hierzu hat Zuckerman einige Best-Practise-Beispiele genannt, die alle Eines gemeinsam haben: Sie ermöglichen die tatsächliche Partizipation jedes und jeder Einzelnen. Um nur ein Beispiel zu nennen: promisetracker.org, eine wunderbare Idee! Doch Achtung: Watch out to not become the mistrusted! Der Wind kann da sehr schnell drehen.

Von der Wahrheit – Session Nr. 2

Beflügelt vom ersten Referat ging es, nach einer herzlichen Begrüssungsrunde mit Daniel Menna, zur zweiten Session: “Die Abschaffung der Wahrheit” mit Friedemann Karig. Erste Erkenntniss daraus: Lügner_innen sind im Trend!

Wobei hier eine Definition von Nöten ist: Lügen ist eine alternative Wahrheit, zur Disposition gestellt.

Karig führte in seinem kurzweiligen Referat aus, dass wir im Endeffekt eben doch eher eine Glaubens- als eine Wissensgesellschaft sind, und zeigte auf, wie Wahrheit entsteht und sich im Laufe der Zeit auch wandelt.

Wahrheit – Verschwörungstheorie – Propaganda

Doch warum interessiert uns die Wahrheit so brennend? Weil wir ständig und ununterbrochen auf der Suche sind. Auf der Suche nach dem Sinn, so Karig. Es fällt uns unglaublich schwer mit Nicht-Wissen umzugehen, etwas auch einfach mal hinzunehmen. Gleichzeitig haben wir Angst und deshalb glauben wir – am liebsten an einfache, reisserisch aufgemachte Geschichten. Wir reduzieren damit die Komplexität und versuchen der steten Informationsflut Herr oder Frau zu werden.

Und so kommt es, dass man sagen könnte, die Wahrheit bewege sich auf einem Zeitkontinuum. Je nach dem verändert sie sich, aufgrund von Verschwörungstheorien oder gar Propaganda – wobei nicht (immer) zu beweisen ist, zu welchem Zeitpunkt sie am wahrsten ist. Ganz im Sinne von: Am Anfang flogen wir auf den Mond, dann entwickelten wir ganz viele Verschwörungstheorien dazu und so gibt es heute zwei Wahrheiten. “Ja, wir waren auf dem Mond!” und “Nein, das war alles Propaganda, eine Mondlandung gab es nie wirklich!”. Womit wir schon beim nächsten Punkt wäre: Wahrheit ist nicht gleich Wirklichkeit – und umgekehrt.

Erzählende Affen

Auch Karig konnte (oder wollte) in seimen Vortrag nicht DIE Wahrheit darlegen, doch er regte mit seinen Ausführungen zum Denken an. Darüber warum wir glauben, was wir glauben und ob dies der Wirklichkeit oder/und der Wahrheit entspricht. Besonders im Zeitalter von Social Media und hunderten von Tools lässt sich die Frage schon stellen: Wenn alle alles fälschen können, was ist dann noch wahr?

Drei Dinge sind mir besonders geblieben:

  • Der Horror des Nicht-Wissens geisselt die Menschheit
  • Im Kern sind wir doch alle einfach erzählende Affen
  • Wir sollten wieder mal öfter unten dargestellte Bewegung machen bzw. Einstellung pflegen:

Von Macht… – Session Nr. 2.5

Im Anschluss an diese Session, hab ich mich noch in “Wer hat die Macht? Konvergente Medien zwischen Wettbewerb und Kontrolle” gesetzt, gemäss Programm eine Diskussion mit diversen Persönlichkeiten. Nach einem kaum verständlichen Grusswort mochte mich der erste Beitrag – denn die Diskussion kam erst zum Ende – rechte zu gefallen. Bernhard Pörksen sprach dabei über die Veränderungen in der Informationsverbreitung und die damit einhergehende Verschiebung der Macht. “Wer hat die Macht?” war seine Frage und seine Antwort lautete, dass Macht allgegenwärtig geworden ist. Dabei stellte er sechsTrendmeldungen in Bezug auf die Informationsvermittlung auf:

  • Es tauchen neue Enthüller auf;
  • Es tauchen neue Themen auf;
  • Es tauchen neue Opfer auf;
  • Es entstehen neue Verbreitungsdynamiken;
  • Es tauchen neue Vermittler auf;
  • Es entstehen neuen Tools der Enthüllung.

Er fügte hinzu, dass wir immer mehr weg vom Diktat der Relevanz, hin zum Diktat der Interessantheit kommen und heute jeder Mensch ein Sender ist. Sehr schön war auch sein Votum “Das Smartphone ist eigentlich eine indiskrete Technologie”.

Was dürfen wir jedoch aufgrund der veränderten Bedingunen in der Informationsvermittlung tun? Und worauf dürfen wir hoffen? Nun seine Antworten darauf waren klar: Wir sollten immer, bei jeder Kommunikationshandlung die grosse Öffentlichkeit mitdenken. Denn jede Kommunikationshandlung kann jederzeit an die grosse Öffentlichkeit gelangen und entsprechende Konsequenzen nach sich ziehen. Hoffen können wir, dass zumindest ein gewisses Mass an journalistischem Bewusstsein in die Gesellschaft einfliesst. Dass jede und jeder ein Gefühl dafür entwickelt, was veröffentlichungswürdig ist und was nicht. Denn die Macht liegt neu bei Allen.

…und fehlender Auftrittkompetenz

Im Anschluss an Pörksen taten noch weitere Speaker ihre durchaus fundierte und an sich auch spannende Sicht kund. Dabei fiel mir Eines wieder einmal deutlich auf: Der Inhalt kann noch so gut sein, wenn es an Auftrittskompetenz fehlt, geht er trotzdem verloren. Schade eigentlich, denn es ging um Google und dessen Macht und die Frage, ob sie ein Problem darstellt oder nicht.

Zum Abschluss gutes Essen mit guten Leuten

Am Ende des Konferenz-Tages stand dann noch das Essen der “Schweizer an der re:publica”-Fraktion an. Und obschon ich eigentlich recht müde war und gar kurz überlegt habe zu schwänzen, bin ich froh, es nicht getan zu haben. Schön war’s! Vierzig Personen folgten dem Ruf der Organisatorin und SOMEXpertinBarbara Schwede und trafen sich im Lavanderia Vecchia zu Speiss und Trank.

Und so endet ein spannender, begegnungsreicher erster offizieller Tag an der #rp15. Weiteres folgt dann morgen!

…für alle, die nicht genug kriegen können: via Storify gibt’s noch ein bisschen mehr.


Über den Autor

Sheila Karvounaki Marti