Fünf Überlegungen zu HTML5

HTML5 soll schon bald den Status als «Working Draft» verlieren und von der W3C offiziell verabschiedet werden. Alex Kereszturi macht sich in seinem Beitrag Gedanken zum «neuen» HTML-Standard.

Autor Alex Kereszturi
Datum 13.10.2014
Lesezeit 10 Minuten

Was hat es mit HTML5 auf sich? Was ist an diesem De-Facto-Standard dran, dass er immer noch nicht abgesegnet ist und doch schon «jeder» damit arbeitet? Alex Kereszturi zeigt in diesem Beitrag fünf Dinge auf, durch die Sie verstehen werden, warum die Ruhe nach dem Sturm immer nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist.

Mein erster Gedanke zu HTML5 war anno dazumal: «Ah, endlich ist es da!» Doch weit gefehlt!? Ein Blick auf Wikipedia zeigt noch heute, dass der aktuelle HTML-Standard «XHTML 1.1» heisst und im Mai 2001 abgesegnet wurde. Die Arbeiten an XHTML 2.0 wurden eingestellt und HTML 5 ist (noch immer) ein Working Draft, ein Arbeitsentwurf!? Naja, 2015 soll es laut W3C endlich soweit sein, dass HTML5 verabschiedet wird.

Spannenderweise würden mich meine Kunden vierteilen, würde ich ihnen heute noch XHTML-Webseiten verkaufen – zumindest jene, die sich ein bisschen auskennen. Was also hat es mit HTML5 auf sich? Fünf Dinge, die meines Erachtens jeder Interessierte oder Involvierte über HTML5 wissen sollte, können helfen, zu verstehen, warum die Ruhe nach dem Sturm immer nur die Ruhe vor dem nächsten Sturm ist. Aber Seebären und Meerjungfrauen wissen das schon lange. Also, ahoi, auf in die Gestade des WWW!

1: HTML 5 ist gar nicht so eine (einzelne) grosse Sache, wie viele denken

Die erste HTML-Dokumentation meines Lebens hatte ganze vier A4 Seiten! Heute reichen 1000 Seiten nur knapp, um «alles» zu erklären, was im Zusammmenhang mit HTML & Co. wichtig wäre, wie das empfehlenswerte Buch «HTML5 Handbuch» von Clemens Gull und Stefan Münz ( ISBN 978-3-645-60151-1) zeigt. Da HTML eben nicht mehr ganz so einfach ist, wie vielleicht vor 20 Jahren, und vieles damit zusammenhängt, ist es nicht verwunderlich, dass das neue HTML5 nicht ein einzelnes zusammenhängendes «Ding» ist, wie noch anno 1996. Diese Grafik zeigt sehr schön, was damit gemeint ist.

Der grosse «Sturm» um HTML5 vor 2-3 Jahren hatte noch eine etwas übersichtlichere Zusammenstellung zu bewältigen. Heute sind einige der Wogen geglättet, haben sich ausgetobt und sind langsam verebbt. Andere neue Wellen sind dazu gekommen. Ich will hier nicht auf einzelnen eingehen, das haben andere schon getan. Mir geht es um die Tatsache, dass – vor allem die Kreise (in der Grafik) «HTML5» (in Anführungszeichen) und Webtechnologien – aber auch die inneren, stetigen Veränderungen unterworfen sind. Heute noch!

Kurz: HTML5 im weiteren Sinne ist nicht eine einzelne grosse zusammenhängende Sache, sondern ein Zusammenspiel von vielen unterschiedlichen Komponenten.

2: HTML 4 ist (fast) voll OK! Bitte also nicht alles wegwerfen!

Wer einen HTML5-Kurs ohne Vorkenntnisse von HTML4 bzw. XHTML besucht und das Gefühl hat, nach einem Tag habe man die Materie «im Sack», wird enttäuscht. Wer denkt, sich auf seinem HTML4- bzw. XHTML-Wissen wohlig ausruhen zu können, hat seinen Beruf verfehlt oder ist schon pensioniert. Es braucht beides – wirklich beides! Die fundierten Grundkenntnisse, wie sie z.B. in einem Web Developer Basic-Kurs vermittelt werden, gehören heute genauso zum Repertoire eines Webentwicklers, wie das Verständnis für das neue HTML5.

Handkehrum heisst das aber auch, dass Websites, die mit HTML 4 oder XHTML erstellt wurden, nicht komplett unbrauchbar sind. Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es oft nur kleine Anpassungen am Code braucht, um eine Website HTML5-valide zu tunen.

Kurz: Ein genaues Hinschauen, ob ein Webprojekt komplett neu erstellt werden muss (wie es einem die Internetagentur gerne vorschlägt) oder eventuell einfach an einigen Stellen angepasst werden sollte (was das Budget schont), lohnt sich aus der HTML-Warte betrachtet alleweil!

3: Im Anfang steckt der Zauber

Wer schon einmal ein HTML-4- oder XHTML-Dokument verfasst hat, kennt das (leidige?) Thema der DOCTYPE-Definitionen. Wer es nicht kennt, war nicht bei mir an einem HTML-Kurs und sollte nochmals über die Bücher! Naja, oder auch eben nicht.

Früher wurde nämlich ganz am Anfang eines HTML-Dokuments in der allerersten Zeile angegeben, mit welcher HTML-Version das nun folgende Dokument arbeitet. Das sah in etwa so aus:

Es wurde also exakt definiert, welche Version und welche Variante von HTML nun kommen wird.

Wenn ich mir heute von Dreamweaver und Co. eine HTML5-Seite erstellen lasse, steht da ernüchternd:

Und das ohne Version, ohne Variante! Genau! OHNE VERSION!

Kurz: HTML5 ist keine Version, sondern ein neues Konzept. Hinweis: Deshalb ist die «5» in HTML5 auch ohne Abstand direkt an «HTML» anzuhängen!

4: Keine Version, sondern ein Konzept. Wir werden es also nicht mehr los!

Eigentlich waren es doch schöne Zeiten, als einem der HTML-Validator unter http://validator.w3.org genau gesagt hat, was man wo falsch gemacht hat. Wie früher, als man eine kleines Kind war und einem die Eltern ganz genau gesagt haben, was man tun und lassen soll. Aber scheinbar wird auch HTML erwachsen. Eine abgeschlossene Sammlung an Was-Es-Gibt und Was-Es-Nicht-Gibt findet man bei HTML5 nicht mehr wirklich. Aber man bekommt ein Prinzip, eine Idee, ein Konzept, wie HTML-Dokumente zu erstellen sind.

Ein Beispiel: In HTML5 ist es grundsätzlich erlaubt, neue, eigene Tags (Befehle) einzuführen. Beispielsweise definiere ich

<kontaktdaten>

als Tag, weil ich das gut gebrauchen kann. Früher, zu Zeiten von HTML 4, war das ganz klar ein Fehler, denn so einen Tag gab es nicht. Zu Zeiten von HTML5 ist das nicht mehr so klar. Nur weil ein Browser (noch) nicht weiss, was er mit einem «kontaktdaten»-Tag anfangen soll bzw. was er tun soll, heisst das eben noch lange nicht, dass das deswegen nicht korrektes HTML ist. Ein älterer Browser weiss z.B. auch nicht, was er mit einem «video»-Tag anfangen soll. Ein neuerer zeigt dort ein Video an. Ein Browser der Zukunft zeigt in einem «kontaktdaten»-Tag vielleicht automatisch irgendwelche hinterlegten Kontaktdaten an … wer weiss.

Kurz: HTML5 arbeitet nicht mit einem vorgefertigten Befehlssatz, der evtl. immer wieder neu angepasst werden muss, sondern bietet eine Herangehensweise, wie in Zukunft auch Neues (hoffentlich) nahtlos integriert werden kann.

5: Gut ist, was funktioniert – aber WIE funktioniert es?

Einem Anwender ist es eigentlich egal, ob es an HTML, dem Browser oder der Wetterlage liegt, dass seine Lieblingswebsite nicht «funktioniert». Wenn wir uns hier über HTML5 unterhalten, dann interessiert mich als Entwickler also vor allem, welche von den vielen netten HTML5-Bonbons ich denn (schon) einsetzen kann und welche nicht, damit der Besucher glücklich und nicht frustriert ist. Da helfen zum Glück Websites wie www.caniuse.com

Doch auch wenn dort z.B. steht, dass der HTML5-Tag <video> sowohl im Internet Explorer wie auch im FireFox und auch in Chrome funktioniert, heisst das noch lange nicht, dass er in allen drei Browsern gleich funktioniert. Dass man sich z.B. (immer noch) nicht auf ein gemeinsames Videoformat einigen konnte, das durchgängig in allen Browsern unterstützt wird bzw. sozusagen «von Gesetzes wegen» unterstützt werden «muss», ist ein Thema. Dass man sich als Entwickler zwar darauf verlassen kann, dass ein Video angezeigt wird, doch nicht mit welchem Play-, Pause- und Stopp-Button-Layout ein anderes. Und so reihen sich viele kleine Baustellen aneinander.

Kurz: Das Hauptaugenmerk von HTML5 liegt auf dem WAS und nicht auf dem WIE. Das ist grundsätzlich gut so (siehe dazu auch Aller guten Dinge sind 3: HTML, CSS und JavaScript im Zusammenspiel). Hat aber Vor- und Nachteile in der täglichen praktischen Arbeit.

Fazit

Meines Erachtens ist die Idee hinter HTML5 revolutionär. Es wirft althergebrachtes «so und nicht anders»-Denken über den Haufen und bietet einen Rahmen für Neues, für Weiterentwicklung. Dass also anno dazumal ein Sturm aufgezogen ist, als HTML5 noch neu war, ist verständlich. Heute ist es relativ ruhig um HTML5, der Zauber und das Potenzial zur Schlagzeile ist verflogen.

Doch als Seefahrer auf den stürmischen Weltmeeren von HTML wird es mir und allen, die mit HTML5 arbeiten, nicht langweilig. Die Ruhe nach dem Sturm ist meines Erachtens auch die Ruhe vor dem Sturm. Erläuternd dazu vier abschliessende Überlegungen:

  • Wird HTML5 Schritt halten können mit dem Takt, in dem immer neue Geräte mit immer neuen Features auf den Markt kommen?
  • Dass HTML5 offen ist für neue Features, bringt den Nachteil, dass jeder Browser- und Gerätehersteller beinahe wählen «muss», welche der Möglichkeiten er unterstützt und welche nicht … und wie er diese Unterstützung konkret umsetzt.
  • Werden die Entwickler-Tools mithalten können? Oder anders: Wie muss ein Entwickler-Tool geschaffen sein, damit es auch neue, noch unbekannte Features unterstützen kann? Cloud-Software-Modelle wie jenes von Adobe sind da vielversprechend.
  • Werden die HTML-Schreibenden mithalten können? Schon heute ist es schwierig, «alles» rund um HTML zu beherrschen, und weniger wird es nicht.

Also, hissen wir die Segel und halten Ausschau nach etwaigen Anzeichen für den nächsten Sturm! Ahoi!


Über den Autor

Alex Kereszturi

Alex Kereszturi ist Web Solution Developer der ersten Stunden, Trike-Fahrer und Hobby-Psychologe. Als einer der ersten «Webpulisher SIZ» und als «Adobe Certified Instructor» entwickelt er seit seinem 15. Lebensjahr Lösungen für das WWW, Mobilgeräte und andere Lebenslagen. Er ist seit bald 25 Jahren Kursleiter bei Digicomp, liebt das Sein in der Natur und setzt bei seinen Schulungen auf einen guten Mix aus Information, Praxisübungen und Unterhaltung. Als Inhaber und CEO führt er die Smilecom GmbH als ein kleines aber feines Software-Entwicklungs-Unternehmen und immer wieder ein turbulentes Familienleben mit drei Töchtern.