Digital goes politics: Einblick in die Schweizer ICT-Verbands- und Politiklandschaft

Die Schweizer ICT-Verbands- und Politiklandschaft ist verworren. Der folgende Überblick über ICT-Verbände, Lobbying-Organisationen, Politiker und ICT-Themen soll etwas Licht ins Dickicht bringen. Der Artikel hat weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Neutralität, versucht aber dennoch einen möglichst ausgeglichenen Einblick zu schaffen.

Autor Dr. Matthias Stürmer
Datum 19.08.2014
Lesezeit 7 Minuten

Die Schweizer ICT-Verbands- und Politiklandschaft ist verworren. Der folgende Überblick über ICT-Verbände, Lobbying-Organisationen, Politiker und ICT-Themen soll etwas Licht ins Dickicht bringen. Der Artikel hat weder Anspruch auf Vollständigkeit noch auf Neutralität, versucht aber dennoch einen möglichst ausgeglichenen Einblick zu schaffen.

Kleine Strukturen scheinen hierzulande wichtig zu sein. Obwohl die Schweiz weniger Einwohner als beispielsweise das deutsche Bundesland Baden-Württemberg alleine hat, gibt es bei uns bekannterweise 26 Kantone mit entsprechend grosser beziehungsweise kleiner Einwohnerzahl. Ähnlich feingranular sind in der Schweiz die Verbände der Informations- und Kommunikationstechnologie-(ICT)-Branche aufgeteilt.

Fragmentierte Verbandslandschaft

So setzt sich zum Beispiel der Verein swissICT generell für ICT-Themen von grossen und kleinen Anwendern und Herstellern ein, währenddem der Swico vorwiegend die Interessen der grösseren ICT-Anbieter und der Verein simsa diejenigen der Online-Dienstleister vertritt. Bei der ASUT sind als schweizerischer Verband der Telekommunikation die Telkos und Energieunternehmen Mitglied, die Schweizer Informatik Gesellschaft SI setzt sich für die Hochschulen in ICT-Anliegen ein. Die Swiss Open Systems User Group /ch/open macht sich wiederum stark für Open Source Software und offene Systeme. Diese und weitere Vereine sowie grosse ICT-Hersteller- und -Anwenderunternehmen sind im Dachverband ICTswitzerland zusammengeschlossen, der sich als «gemeinsame Stimme» für die Förderung und Weiterentwicklung von ICT in der Schweiz einsetzt.

Daneben gibt es aber noch viele weitere ICT-Organisationen wie die Information Security Society Switzerland (ISSS), die Sicherheitsprofis vereint, oder der Verein Opendata.ch, der sich für öffentlich zugängliche Daten von Behörden und anderen Organisationen einsetzt. Weitere ebenfalls stark zivilgesellschaftlich geprägte Vereine sind die Digitale Allmend, die sich für den öffentlichen Zugang zu digitalen Gütern und deren Weiterentwicklung einsetzt, oder die Digitale Gesellschaft, die sich für netzpolitische Themen wie Netzneutralität oder digitaler Datenschutz einsetzt. Auch internationale Vereinigungen wie der Chaos Computer Club (CCC), die Free Software Foundation (FSF), die Information Systems Audit and Control Association (ISACA) oder die Internet Society (ISOC) haben lokale Ableger mit Aktivitäten und Mitgliedern in der Schweiz. Auch wenn die Organisationen etwas zersplittert erscheinen, funktioniert die Zusammenarbeit meist gut. So gibt es oftmals thematische Zusammenschlüsse zwischen den Verbänden, um beispielsweise gewisse Themen in Form von Anlässen oder Publikationen weiterzubringen oder diese auf der politischen Ebene zu bearbeiten.

Lobbying und Politik

Offizielle Lobbying-Organisationen in der Schweizer Politik gibt es zwei, die ePower-Initiative und die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit (Parldigi). ePower wird finanziert durch den Dachverband ICTswitzerland sowie grosse ICT-Firmen und stellt deshalb die «politische Interessenvertretung der ICT-Wirtschaft» dar. Parldigi wird von kleineren Open-Source-Firmen getragen und vertritt in der digitalen Welt die gesellschaftlichen Interessen wie beispielsweise mehr Unabhängigkeit von Informatikanbietern, freier Zugang zu Daten und Software oder eine gesetzliche Regelung der Netzneutralität. Neben den zwei Parlamentarier-Gruppen gibt es auch Firmen wie Swisscom oder Sunrise, deren Mitarbeitende über Gästekarten direkten Zugang zum Bundeshaus haben. Lobbying geschieht oftmals auch über PR-Agenturen wie furrerhugi oder Hirzel.Neef.Schmid.Konsulenten, die Mandate von ICT-Anbietern ausführen.

Nationale ICT-Politikerinnen und -Politiker gibt es immer mehr. Von den heute noch amtierenden Nationalräten ist der ICT-Unternehmer Ruedi Noser (FDP Kanton Zürich) wohl den meisten bekannt. Er hat 2005 die ePower-Initiative gegründet und ist seit 2010 Präsident von ICTswitzerland. Auch seit 2005 aktiv in ICT-Themen ist Nationalrätin Kathy Riklin (CVP Kanton Zürich), die damals mit einer Interpellation zu E-Government ihre ICT-Politkarriere startete und kurz darauf in den swissICT-Vorstand gewählt wurde. Im Jahr 2009 kamen Edith Graf-Litscher (SP Kanton Thurgau) und Christian Wasserfallen (FDP Kanton Bern) dazu und gründeten die Parlamentarische Gruppe Digitale Nachhaltigkeit, die sie noch heute präsidieren. Gewicht in den politischen ICT-Debatten hat heute insbesondere Balthasar Glättli (Grüne Kanton Zürich), der als Internet-Unternehmer über vertiefte technische Kenntnisse verfügt, seit 2011 im Nationalrat sitzt und seither zahlreiche ICT-Vorstösse eingereicht und ICT-Themen wie Netzneutralität lanciert hat.

Aktuelle politische ICT-Themen

Inhaltlich gibt es auch immer öfter politische Themen, die direkt oder indirekt mit ICT zusammenhängen. Der Klassiker ist E-Government, also wie Behördenprozesse digitalisiert und der Austausch mit der Bevölkerung und Unternehmen elektronisch abgewickelt werden kann. Bei diesem Thema stellt vor allem die elektronische Geschäftsverwaltung den Bund vor eine grosse Herausforderung. Nach dem Scheitern der Microsoft-SharePoint-Entwicklung beim Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) und nach mehrmaligem Verschieben der Termine sollen nun alle Bundesämter bis Ende 2015 ein GEVER-System (Elektronische Geschäftsverwaltung) eingeführt haben. Offen ist allerdings noch die Beschaffung dieser komplexen Informatiklösungen.

Informatikbeschaffungen waren im Frühling denn auch das Thema einer Sonderdebatte im Parlament. Mit dem gescheiterten INSIEME-Projekt, den kriselnden Projekten beim VBS, dem wackelnden Informatikprojekt beim ASTRA und dann noch mit dem Korruptionsskandal beim Seco war genügend Stoff da, um eine mehrstündige Debatte im Nationalrat zu führen. Es wurden denn auch zahlreiche Vorstösse angenommen, die eine Verbesserung bewirken sollen. Eine neue Forderung wurde durch Mitglieder von Parldigi lanciert, die Transparenz bei sämtlichen öffentlichen Beschaffungen ab 50’000 Franken vorschreibt – der Bundesrat unterstützt dies vollumfänglich.

Weiter geht’s mit ICT in der Politik

Zahlreiche weitere ICT-relevante Politikgeschäfte wie das elektronische Patientendossier, die digitale Signatur, die Urheberrechtsrevision, das überarbeitete Gesetz zur Überwachung des Post- und Fernmeldewesens, das neue Nachrichtendienstgesetz, der Standort der neuen Rechenzentren und last but not least zahlreiche Vorstösse zu Open Source Software, Open Government Data, Netzneutralität und Bitcoin sind in den nächsten Monaten auf der politischen Agenda traktandiert. Es wird somit wohl kaum mehr eine Session vorbeigehen, in der ICT nicht in irgendeiner Form diskutiert würde. Und das ist nota bene nur die nationale Ebene gewesen, mindestens so viele ICT-Themen werden zurzeit auch auf kantonaler und kommunaler Stufe diskutiert.

Infografik (Auszug, ohne Anspruch auf Vollständigkeit)

Infografik - Die ICT-Landschaft der Schweiz

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Über den Autor

Dr. Matthias Stürmer

Dr. Matthias Stürmer ist Leiter Forschungsstelle Digitale Nachhaltigkeit am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Bern. Er ist seit acht Jahren Vorstandsmitglied der Swiss Open Systems User Group /ch/open, Mitgründer und Vorstandsmitglied des Vereins Opendata.ch sowie Initiator und Geschäftsführer der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit Parldigi.