Digital Natives vs. Digital Immigrants – und die Generation X

Autor Administrator
Datum 07.04.2014
Lesezeit 7 Minuten

Sie sind heute in aller Munde: Die Digital Natives. Eine heranwachsende Generation, die digital networking quasi mit der Muttermilch aufgesogen hat. Der Generationenwechsel ist deutlich spürbar, doch: Welchen Einfluss hat diese neue Generation tatsächlich auf die Gesellschaft, die Werbung, die Welt?

Ich bin Mitte 30 und darf mich mit gutem Gewissen zu einer jungen und modernen Generation zählen. Im Teenageralter habe ich mein erstes Mobile Phone angeschafft, in der Ausbildung verfügte ich bereits über einen aktiven privaten und einen geschäftlichen E-Mailaccount. Faxen fanden wir schon damals absolut unsexy und wir haben mit einer Rum-Cola auf unsere Volljährigkeit und die Geburtsstunde von Google angestossen. Dies alles sind eindeutige Indizien dafür, dass ich alles andere als ein digitaler Blindgänger bin. Und dennoch: Auch ich bin gleichermassen beeindruckt und eingeschüchtert von der neuen Jugend, die mit einem unglaublichen Tempo und einem digitalen Selbstverständnis emporschiesst.

Ich kann mir gut vorstellen, wie es da erst den Digital Immigrants ergehen muss – all jenen, die erst im Erwachsenenalter mit digitalen Medien in Berührung gekommen sind.
John Perry Barlow, Verfasser der Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace (1996), formuliert wie folgt:

„You are terrified of your own children, since they are natives in a world where you will always be immigrants.“

Und genau vor dieser Ohnmacht fürchten wir uns, wir, die Vorfahren der Digital Natives: Wir können uns anstrengen und updaten so gut wie’s eben geht, aber wir werden vermutlich niemals dieselbe digitale Intuition entwickeln, wie sie die Generation Web angeboren hat.

Philipp Riederle, der mit seinen knapp 20 Jahren als jüngster Unternehmensberater Deutschlands und Vertreter der Generation Y gilt, hat diesem Thema ein komplettes Buch gewidmet. Ein Zitat daraus, das mich besonders in meiner Funktion als Marketing-Kommunikationsfachfrau getroffen hat: „Wenn Werbung läuft, schalten wir ab. Denn wir lassen uns nichts vorschreiben. Wenn Ihr uns kriegen wollt, müssen wir erst Eure Fans werden.“

Und genau diese Tatsache ändert Werbung grundlegend. Plötzlich sind Apps, multimediale Web-Applikationen und Interaktivität Pflichtprogramm für Unternehmen. Und Social Media ist nicht länger nur eine nebensächliche Begleitmassnahme im Marketing-Mix, sondern essenziell für alle Kommunikationsanstrengungen.

Leb wohl klassisches Empfänger-Sender-Prinzip – wir begrüssen heute den Dialog! Nur bloss nicht den Kontakt verlieren!

Die Digital Natives sind also nicht mehr die klassischen Medienkonsument/innen, wie es meine Generation X noch verkörpert: Wir schauen uns Filme grösstenteils noch auf einem Fernsehgerät und nicht nur auf dem Notebook an. Wir ertragen die Werbeblöcke geduldig oder lauschen zumindest mit einem Ohr, während wir uns in der Küche ein neues Getränk holen. Ab und zu summt nebst allen WhatsApp-Nachrichten auch mal eine waschechte SMS rein. Und wenn wir mal für ein bis zwei Tage keinen Internetzugriff haben, geht die Welt auch nicht gleich unter.

Doch die Digital Natives haben eine erstaunliche Gabe mit auf den Lebensweg gekriegt: Sie können scheinbar viele Kanäle gleichzeitig bedienen, ohne gleich einer totalen Reizüberflutung ausgesetzt zu sein. Und obwohl sie stundenlang durch den Cyberspace gleiten, ist ihr Konsum keinesfalls beliebig sondern sehr gezielt. Die Jugendlichen sind merklich früher erwachsen, haben teilweise die breitere Allgemeinbildung, wenn sie die Pflichtschuljahre hinter sich gebracht haben, sind selbstbewusst und wissbegierig. Gemäss Philipp Riederle sind die (meisten) Digital Natives jedoch keines Falls bereit, ihre Karriere über das Privatleben zu stellen und in erster Linie für den Beruf zu leben. Denn scheinbar haben sie erkannt, wie Arbeitsprozesse dank der Digitalisierung effizienter und ressourcenschonender strukturiert werden könnten und sie trotz einer gewissen Arbeitsplatzunabhängigkeit nicht einer kompletten sozialen Verkümmerung ausgeliefert sein müssen.

Als grosse Herausforderung steht diesen Geeks eine Generation vor, die nicht so einfach aus ihrer Haut kann. Die Digital Immigrants haben gelernt, von Schreibmaschinen auf Computer und von Wahlscheibentelefonen auf kabellose Mobilgeräte umzustellen. Aber sie haben auch gelernt, dass ohne Fleiss für gewöhnlich kein Preis zu erwarten ist. Und so bauen die Immigrants auf verlässliche Werte, die sich für sie in all ihren Berufsjahren mehr als bewährt haben.

Meine Generation steht da irgendwo dazwischen. Wir halten den Kopf für den Generationenwechsel hin, leben unter dem Druck der alten Werte, die wir von unseren “Lehrmeistern” eingetrichtert bekommen haben. Wir anerkennen die Leistung unserer Vorgänger/innen, haben aber auch gleichzeitig digitales Blut geleckt. Und während ein Teil von uns Familien gründen, rechtfertigt sich die andere Hälfte für ihren Freigeist und die bewusste Entscheidung gegen Kinder und für die Karriere. Wir haben mehr oder weniger unfreiwillig die Rolle der Übersetzer, der Vermittler, ja der Wegbereiter übernommen – und genau in dieser Funktion erlaube ich mir anzumerken:

Liebe Digital Immigrants: Don’t panic! Es wird längst nicht alles so heiss gekocht, wie es gegessen wird. Der digitale Wandel ist da, keine Frage. Doch noch ist absolut niemand „zu spät dran“ oder „zu veraltet“ oder „voll im Hintertreffen“. Kommt Zeit, kommt Digitalisierung. Lieber Schritt für Schritt, dafür mit der nötigen Ernsthaftigkeit umstellen. Und noch gibt es einen sehr grossen Teil der Bevölkerung, die (noch) nicht auf den digitalen Hype aufgesprungen ist und die man vor lauter Tempobeschleunigung nicht vergessen sollte.

Und ihr liebe Digital Natives: Mein voller Respekt gilt eurer Multifunktionalität. Digitale Medien sind toll und auch ich möchte sie nicht mehr missen. Aber: Die Weltgeschichte wird nicht von heute auf morgen neu geschrieben. Entschleunigung ist auch für eure Generation wichtig. Lasst uns an eurem Wissen teilhaben und seid im Gegenzug auch für analoge Wege offen. Subkulturen in Ehren, aber noch immer wäre in unserer Gesellschaft vor allem das Miteinander entscheidend.


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