Der Überall-Arbeitsplatz mit Desktop-Virtualisierung

Der Trend zu Mobilität und flexiblen Arbeitsformen lässt den klassischen Büro-PC alt aussehen. Virtuelle Desktop-Umgebungen sind eine Antwort auf die Frage, wie sich diese Entwicklungen mit den Unternehmensansprüchen vereinen lassen. Dabei gilt es, bei der Planung den Realitätssinn nicht aus den Augen zu verlieren.

Autor Bak-Heang Ung
Datum 29.08.2013
Lesezeit 9 Minuten

Der Trend zu Mobilität und flexiblen Arbeitsformen lässt den klassischen Büro-PC alt aussehen. Virtuelle Desktop-Umgebungen sind eine Antwort auf die Frage, wie sich diese Entwicklungen mit den Unternehmensansprüchen vereinen lassen. Dabei gilt es, bei der Planung den Realitätssinn nicht aus den Augen zu verlieren. Lesen Sie auch die Einschätzungen von Petra Jenner, Microsoft, Othmar Bienz, VMware, und Toni Bernal, Citrix, in unseren Interviews.

Das Zeitalter des klassischen Desktop-PCs im Büro ist vorbei. Notebooks, Smartphones und vermehrt Tablets sind heute die bevorzugten Arbeitsgeräte der Wissensarbeiter. Dank dieser Arbeitsmittel ist man auch nicht mehr ans Büro gebunden, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Mit der Mobilität und der Gerätevielfalt wachsen die Ansprüche – der Mitarbeiter und diejenigen an die Unternehmensinformatik. Die Nutzer wünschen sich den Zugriff auf Daten und Applikationen mit jedem Gerät und über jede Internetverbindung, was der Informatik wiederum Kopfzerbrechen bereitet, müssen sie doch für die Einhaltung der Sicherheitsrichtlinien und der Kosten sorgen.

Virtuell und überall

Ein Ansatz, um Gerätevielfalt und Kosten gleichermassen im Griff zu behalten, liegt in der Desktop-Virtualisierung. Hierbei werden Betriebssystem und Anwendungen nicht mehr lokal installiert, sondern zentral verwaltet. Das erlaubt es, mit dem eigenen Windows-8-Notebook oder dem iPad auf die Unternehmensdaten zuzugreifen, ohne unnötige Sicherheitsrisiken einzugehen.

Während im Rechenzentrum nicht erst seit dem Cloud-Zeitalter Virtualisierung zum Standard gehört, hat sie sich auf dem Desktop bisher nicht im breiten Mass durchgesetzt. Eine globale Studie des holländischen Projekts «Virtual Reality Check » ergab, dass nur rund ein Drittel der befragten Unternehmen Desktop-Virtualisierung in irgendeiner Form einsetzen. Zulegen wird diese Technologie gemäss der Studie vor allem bei grossen Unternehmen. «Insbesondere Fragen der Datensicherheit sowie BYOD werden das Wachstum für grosse und mittlere Unternehmen antreiben», erklärt Petra Jenner, Country Manager Switzerland von Microsoft, diese Prognose im Interview mit Digicomp. Grosse Unternehmen profitieren zudem auf der Kostenseite am stärksten von einer vereinheitlichten Desktop-Umgebung und verfügen auch am ehesten über die Ressourcen, um die entsprechende Infrastruktur zu betreiben.

Drei Viertel der Unternehmen, die Desktop-Virtualisierung einsetzen, virtualisieren auch die Anwendungen. Rund ein Drittel setzt dabei auf App-V von Microsoft. Während bei der Virtualisierung selber der Hypervisor von VMware am weitesten verbreitet ist, liegt beim Handling des virtuellen Desktops Citrix vor VMware und Microsoft. Diese drei Anbieter dominieren die Szene.

Viele Varianten

Desktop-Virtualisierung umfasst verschiedene Szenarien. Beim klassischen Server-Ansatz, den etwa Microsoft und Citrix seit längerem mit ihren eigenen Protokollen verfolgen, teilen sich mehrere Benutzer einen Server. Sie greifen auf ihre persönliche, aber gemeinsam genutzte Server-Session zu, die im Rechenzentrum läuft. Hier spricht man auch von Server Based Computing (SBC).

Verfügt jeder Anwender über eine eigene virtuelle Systemumgebung, spricht man von Virtual Desktop Infrastructure (VDI). Diese Variante bietet mehr Flexibilität bei der Nutzung von Hardware-Ressourcen, und eignet sich auch für komplexe Anwendungsfälle wie CAD und Multimedia. Dies verlangt nach der Unterstützung entsprechender Hardware, wie sie etwa die Horizon Suite von VMware bietet. «Inzwischen können Hardware-beschleunigte 3D-Grafikkarten im vSphere Host eingesetzt werden, wodurch CAD im virtuellen Desktop möglich wird», erläutert Othmar Bienz, Director Alpine Region von VMware, den Ansatz seines Unternehmens gegenüber Digicomp.

Im Prinzip liesse sich ein virtueller Desktop auch direkt auf dem lokalen Rechner betreiben, auf dem hierfür eine Virtualisierungskomponente installiert sein muss. Das Betriebssystem kann beispielsweise zentral aus einem Rechenzentrum «gestreamt» werden. Ein solcher Ansatz bietet zwar die höchste Leistung, erfordert aber einen Eingriff in die Konfiguration des Endgeräts und ist weniger verbreitet als die ersten beiden Varianten.

Doch Desktop-Virtualisierung beschränkt sich nicht auf die Systemumgebung, sondern bezieht auch Anwendungen mit ein. Diese lassen sich ebenfalls virtuell nutzen, was den Vorteil bringt, dass die lokale Installation entfällt und Updates und Unterhalt an einem zentralen Ort erfolgen können. Virtualisierte Anwendungen können lokal gestreamt werden wie bei App-V oder sie werden in klassischer Weise nur in das virtuelle Desktop Image hineingestreamt.

Virtualisierung von System und Anwendungen lassen sich nun kombinieren, womit sich praktisch jedes denkbare Anwendungsszenario umsetzen lässt. Der Vorteil der «doppelten» Virtualisierung ist die Flexibilität. So lassen sich etwa für unterschiedliche Anwendergruppen verschiedene Anwendungs-Portfolios zusammenstellen, während das Grundsystem für alle auf demselben Image basiert.

Ganz reale Komplexität

Doch die unbestrittene Flexibilität, die sich mit Desktop-Virtualisierung erreichen lässt, hat ihren Preis. Die Komplexität und der Ressourcenbedarf verlagern sich von den Endgeräten ins Rechenzentrum. Dort sind genügend Reserven an Rechenleistung, Netzwerkkapazität und Festplattenspeicher nötig. Das kann bedeuten, dass zusätzliche Server und weitere Disk-Kapazitäten angeschafft oder sogar die Kühlsysteme ausgebaut werden müssen. Zudem müssen genügend Software-Lizenzen bereitstehen, um die Nutzungsbedingungen der Hersteller zu erfüllen. Die Komplexität im Rechenzentrum erhöht sich, und auch die Anforderungen ans Fachwissen der Systemadministratoren. Diese Faktoren muss ein Unternehmen bei der Erarbeitung einer Desktop-Virtualisierungsstrategie berücksichtigen. Eine Alternative ist, den Betrieb der virtuellen Desktops gleich in die Cloud, sprich an einen entsprechenden Dienstleister auszulagern.

Abhängig von der gewählten Lösung stellt sich die Frage, was mit Unternehmensdaten auf Endgeräten geschieht. Um zu verhindern, dass bei einem Verlust keine sensiblen Informationen in fremde Hände geraten, ist eine MDM-Umgebung (Mobile Device Management) fast zwingend. Denn mit wachsender Mobilität erhöht sich das Risiko eines Verlustes auch bei Firmengeräten.

Eine weitere Knacknuss stellt der Zugriff auf den virtuellen Desktop von ausserhalb des Unternehmens dar, wenn die Bandbreite nicht kalkulierbar ist. Gemäss eingangs erwähnter Studie ist die «User Experience», also das bequeme Arbeiten, ein wichtiger Treiber fürs Wachstum und die Akzeptanz virtueller Desktops. Das sieht auch Toni Bernal so, Country Manager Schweiz von Citrix, wie er Digicomp im Interview sagt: «Das Thema User Experience steht bei uns auch ganz oben auf der Agenda. Die beste Technologie nützt unserer Erfahrung nach nämlich gar nichts, wenn die Mitarbeiter sie nicht gerne benutzen.»

Wenn gar ein Offline-Betrieb möglich sein soll, kommt nur eine Lösung in Frage, mit der sich der virtuelle Desktop lokal betreiben lässt. Erst eine Abwägung all dieser Aspekte entscheidet über den Nutzen einer virtualisierten Desktop-Umgebung.

Strategie durch- und überdenken

Für die Erarbeitung einer Strategie müssen aber nicht nur die technischen Aspekte im Rechenzentrum und auf den Endgeräten berücksichtigt werden, sondern auch die Einsatzszenarien. Die Arbeitsumgebung eines Mitarbeiters, der die gesamte Arbeitszeit im Büro verbringt, lässt sich einfacher virtualisieren als diejenige eines Aussendienstlers, der zudem noch mit Smartphone und Tablet arbeitet. Je nach Rolle bieten sich andere Szenarien an. Diese verschiedenen Anwendungsfälle gilt es auszuleuchten.

Die Aufgaben eines Mitarbeiters haben auch Einfluss auf die eingesetzten Applikationen. So benötigt vielleicht der Verkäufer unterwegs Zugriff aufs ERP, um vor Ort eine Offerte zu erstellen. Im Marketing stehen dagegen Office-Anwendungen und Bildbearbeitung im Zentrum. In diesen Beispielen könnte der Verkäufer über die Web-Schnittstelle des ERP mit dem Browser arbeiten, während die Office-Anwendungen überall via Anwendungsvirtualisierung betrieben werden.

Eine Strategie muss also von der aktuellen Ausgangslage, den verschiedenen Einsatzszenarien und den Zielen ausgehen. Erst, wenn diese Aspekte geklärt sind, lassen sich die Anforderungen an die konkrete Virtualisierungslösung definieren. Der umgekehrte Weg dürfte in den seltensten Fällen zu einem befriedigenden Ergebnis führen.

Unter Umständen gibt es Alternativen zur Desktop-Virtualisierung, zumindest in gewissen Anwendungsbereichen. Mit dem Aufkommen von Smartphones und Tablets ist das Betriebssystem in den Hintergrund getreten, und an webbasierte Anwendungen sind sich Computerbenutzer spätestens seit Facebook, Gmail, Dropbox und Co. ohnehin gewöhnt. Bei der Erarbeitung einer Desktop-Strategie sollten deshalb auch Cloud-Anwendungen in Betracht gezogen werden – als Alternative oder Ergänzung zur Desktop-Virtualisierung.


Über den Autor

Bak-Heang Ung

Bak-Heang Ung ist Dipl. Betriebsökonomin FH. Sie stiess 2006 zu Digicomp. Davor war sie in verschiedenen Branchen tätig, unter anderem acht Jahre im IT-Bildungsbereich in verschiedenen Positionen in Marketing, Verkauf und Schulungsleitung. Als Manager Product Management & Sales war sie bei Digicomp für Office-Migrationen für Firmen, Firmenschulungen, alle massgeschneiderten IT- und Management-Trainings sowie das Partnerprogramm verantwortlich. Seit 2011 ist Baki Ung Mitglied der Geschäftsleitung und per 1.1.2017 CEO der Digicomp Gruppe, bestehend aus Digicomp Academy AG und Digicomp Academy Suisse Romande SA. Als operative Geschäftsführerin garantiert sie Kontinuität in Strategie, Qualität und Kundenbetreuung.