Trends zu Produktivität in der Zusammenarbeit - Interview Teil 2

In einem ersten Interviewteil haben wir Ihnen vor einem Monat die Produktivitätstrends in der Kommunikation vorgestellt. Diesen Monat werfen wir im zweiten Teil des Interviews mit Dr. Pascal Sieber und Alfred Bertschinger vom Schweizerischen Produktivitätsinstitut einen Blick auf den Bereich: Produktivität und Zusammenarbeit.

Autor Oliver Müller
Datum 26.06.2013
Lesezeit 9 Minuten

In einem ersten Interviewteil haben wir Ihnen vor einem Monat die Produktivitätstrends in der Kommunikation vorgestellt. Diesen Monat werfen wir im zweiten Teil des Interviews mit Dr. Pascal Sieber und Alfred Bertschinger vom Schweizerischen Produktivitätsinstitut einen Blick auf den Bereich: Produktivität und Zusammenarbeit.

 

Sieber-Pascal

Dr. Pascal Sieber ist Geschäftsführer des Schweizerischen Produktivitätsinstituts und Träger des Mertens-Preises. Er berät Topmanager in der Unternehmensentwicklung und sorgt als Mitglied der KTI für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in der angewandten Forschung. (PS)

 

 

 

Bertschinger-AlfredAlfred Bertschinger ist Soziologe, Linguist und Maschinenbauer. Er arbeitet seit sechs Jahren in der Beratung und Forschung beim Schweizerischen Produktivitätsinstitut. Sein Spezialgebiet: Der Wissensarbeiter und die Produktivität. (AB)

 

 

 

(… Interview Teil 1)

Digicomp: Betrachten wir ein anderes häufig verwendetes Zauberwort: Collaboration (Zusammenarbeit). Was ist der momentane Stand der Dinge? Und wohin führt die Reise?

AB: Zuerst: Kommunikation ist der zentrale Teil von Kollaboration. Keine Kollaboration ohne Kommunikation. Kommunikation bildet die Basis einer erfolgreichen Zusammenarbeit. Kollaboration ist Interaktion von Menschen, um gemeinsam Ziele zu erreichen. Und, Kollaboration ist teuer.
Projekträume sind mittlerweile Standard geworden – gemeinsame Datenablage, gemeinsamer Kalender, Aufgaben und Diskussionen gehören dazu. Teuer wird es, wenn der Projektleiter keinen Konsens über die Zusammenarbeit erreichen kann. Produktive Zusammenarbeit heisst Regeln definieren und einhalten. Der Kollaborator vernetzt Menschen, um komplexe Aufgaben zu lösen.

PS: Etwas pointiert ausgedrückt: Die Reise führt uns zurück in die 1990er-Jahre, um dort anzuknüpfen, wo wir technisch schon einmal waren; nämlich bei einer integrierten, synchronen und asynchronen Kommunikation über das Arbeitsobjekt. Im Zentrum steht das gemeinsame Werk (z.B. ein Word-File), um das herum mit Datenbankverbindungen, Chat, Messaging etc. kommuniziert wird. Das konnten die einschlägigen Kooperationstools vor knapp 20 Jahren schon perfekt. Jetzt wurden wir zurückgeworfen in die Ära der komplizierten, nicht integrierten, nur online verfügbaren Tools. Wenn wir wieder zurück in den 1990er-Jahren sind, geht es dann in die Richtung neuer Eingabe- und Ausgabeformaten weiter. Die Maus und der Bildschirm werden ergänzt durch Multitouch Screens, Anzeigen auf Brillen, an die Wand etc.

Was sind die drei Todsünden für unproduktive Collaboration, die jedes Unternehmen unbedingt vermeiden sollte? Und welche Lösungen gibt es dafür?

AB:

  1. Zu wenig Zeit aufwenden für die Architektur der Resultate – das Lieferergebnis und dessen Inhalt muss von Anfang an klar sein.
  2. Projekleiter, die es nicht schaffen, dass a) gemeinsame Ziele gelebt werden und b) eine gemeinsame Grundlage für die Zusammenarbeit, Stichwort Konventionen, gelegt wird.
  3. Zu viel Command & Control – Wissensarbeit baut auf Selbstverantwortung!

PS: Und Tools, die nur die Techies bedienen können mit einer starken Internetleitung, einem 9-to-5-Job, an einem stationären Arbeitsplatz. Wissensarbeiter sind mobil!

Einleitend haben wir Digital Natives angesprochen. Welche Fähigkeiten haben diese, welche den Digital Immigrants wie uns abgehen?

AB: Fähigkeiten? Die Natives sind schnell im Umgang mit der Technologie, ob sie produktiv arbeiten können, ist eine andere Frage. Ich denke, der grösste Unterschied ist die Routine im Umgang mit IKT (Informations- und Kommunikationstechnik), die spielerische Herangehensweise ist ein Vorteil.

PS: Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Digital Immigrants den Digital Natives in keiner Weise nachstehen. Es gibt Menschen, die empfinden wenig Freude mit dem Material der E-Collaboration (Computer, Smartphone, Tastatur etc.). Das kann ich verstehen. Sie haben es schwerer, sich in der Wissensarbeit zu bewegen. Wie auch ein Schreiner, der keine Freude an der Arbeit mit Holz empfindet, wahrscheinlich nie ein guter Schreiner wird. Die Anziehungskraft der modernen Technologien auf Menschen wirkt aber genauso altersunabhängig wie das Holz.

Welche Fähigkeiten braucht es heute in Unternehmen? Und wie können wir unsere Mitarbeitenden weiterbilden, sodass wir ein produktives Enterprise 2.0 werden?

AB: In der Kommunikation mit Kunden ist Social Media Pflicht, Marketingmitarbeitende z.B. werden ausgebildet. Die «neuen» Berufe wie Social Media Manager kümmern sich um diese Kommunikation. Ich glaube, Unternehmen bräuchten zusätzlich einen Chief Information Manager, der sich dem Prozessieren von Information innerhalb der Firma annimmt.

PS: Ja, und auf der Ebene der Arbeitsorganisation gibt es noch viel zu tun. Wir lernen einigermassen gut, wie man physische Arbeit organisiert, aber wir lernen kaum, wie man Informationsarbeit organisiert. Die Befreiung von Zeit und Raum muss durch Regeln der guten Führung und Zusammenarbeit eingegrenzt werden. Sonst wir die Wahl von Ort und Zeit zur Qual der ständigen Erreichbarkeit und der totalen Unverbindlichkeit. Also schafft Regeln und haltet euch daran.

Eine grundsätzliche Frage zur Produktivität. Wo besteht eurer Meinung nach der grösste Hebel: Bei der Technologie, bei der Methodik in der Anwendung oder in der Firmenkultur?

AB: Wir wiederholen das Mantra-mässig und bewiesen ist es auch: Mit der Technologie alleine kann die Produktivität um 2% gesteigert werden. Mit der richtigen Methode/Arbeitsweise und damit verbundenen Richtlinien steigert die Einführung neuer Technologien die Produktivität um 20%.

PS: Ja genau. Technologie ist ein Kulturgut. Es ist Methode und Kultur, ob wir wollen oder nicht. Unorganisiert ist sie halt methodenlose Unkultur, die zur Verschwendung menschlicher Aufmerksamkeit führt.

Wie können wir diese Hebel bewegen? Welche Trends seht Iihr in der betrieblichen Weiterbildung, um Technologien zu implementieren, neue methodische Zugänge zu erschliessen oder eine gesamte Firmenkultur anzupassen?

AB: Wir führen ja regelmässig Befragungen zur Nützlichkeit der IT bei Unternehmen durch. Bei der Ausbildung erkennen wir einen Trend zu E-Learning und Webinaren – die Leute haben keine Zeit oder Lust mehr auf fixen Frontalunterricht. Beim Wandel von Firmenkulturen bin ich skeptisch. Wenn das Top-Management nicht dahintersteht und konsequent den Wandel vorantreibt, ist die Einführung von neuen Technologien schwierig.

PS: Ich denke, man sollte moderne Hilfsmittel zulassen und die Leute experimentieren lassen. Das Ganze darf dann auch noch geführt sein, damit nützliche Verhaltensweisen erkannt und gestärkt werden können. Falsch ist es sicher, den Zugang zu den Tools zu verbieten.

Ihr berät Unternehmen in der Steigerung ihrer Produktivität. Welches Projekt hat zum grössten Produktivitätsschub geführt? Und warum? Sind die Resultate auch für andere Unternehmen verallgemeinerbar?

AB: Das sind diejenigen Projekte, wo wir aus einer unternehmensweiten Perspektive die Informationsflüsse neu strukturieren, um die Businessziele mit der Technologie zu verbinden (IT-Alignment). Der Erfolgsfaktor ist, die Mitarbeitenden dazu zu bringen, zu sagen, dass nützt mir etwas – ich will das auch –; denn der Mensch will seine Arbeit effizienter und effektiver gestalten.

PS: Die Ablösung alter Prozesse mit Experte, Sekretärin/Sekretär, Protokolle durch neue gut geführte E-Collaboration. Die Sekretärinnen und Sekretäre sind übrigens heute nicht entlassen, sondern haben sich bis auf wenige zu Fachleuten weitergebildet.

Carte Blanche für euch: Welches sind die heissesten Trends zur Produktivitätssteigerung in Unternehmen?

AB: 1. Big Data – vorhandene interne und externe Informationen clever nutzen

2. Cloud-Computing – weniger Ärger und Zugriff von überallher

3. Der Dauerbrenner: Automatisierung von Supportprozessen

PS: Zusammenarbeiten statt zusammen darüber reden, was man tun sollte.

Zum Abschluss: Was sind die drei wichtigsten Punkte, die ein Leser dieses Interviews mitnehmen soll, wenn er morgen damit anfangen will, in seinem Unternehmen eine Initiative zur Produktivitätssteigerung zu starten?

Ab: 1. Selbstreflexion – Produktivität fängt beim einzelnen an, Frage: «Wie prozessiere ich Information, wo sind die Sammelpunkte, wie verarbeite ich Information und welche Ergebnisse liefere ich in welcher Form?». 2. Teamproduktivität, Austauschprozesse analysieren und Konventionen zur Zusammenarbeit vereinbaren und 3. Schaffung eines Chief Productivity Officers.

PS: Ist gut, Freddy, die drei Punkte nehmen wir 😉


Über den Autor

Oliver Müller

Seit Juni 2012 ist Oliver Müller für das Business Development bei Digicomp verantwortlich. Er führte in dieser Funktion die Geschäfte der Somexcloud seit dem Zusammenschluss mit Digicomp und verantwortete den Aufbau neuer Lehrgänge und Kurse in Digitalem Marketing und Social Selling. Als Scrum Master hat er für Digicomp das Framework auf Unternehmensweiterbildungen adaptiert und leitet nun agile Lernsprints in Firmen mit dem Ziel "Mastering Digital Change". Mit seiner eigenen Kommunikationsfirma «King Content GmbH» berät Unternehmen in der strategischen Verwendung von digitalem Content zur Leadgenerierung oder Marketing Automation. Privat verbringt er seine Zeit in den Bündner Bergen bei Skifahren, Tennisspielen und Wein trinken vor dem Kaminfeuer.