Produktivitätstrends in der Kommunikation - ein Interview

Wenn die Zeiten härter werden, rufen alle nach Produktivitätssteigerung. Wie können wir die Produktivität in Unternehmen steigern und wohin führen uns die momentanen Trends? Ein Interview mit Dr. Pascal Sieber und Alfred Bertschinger vom Schweizerischen Produktivitätsinstitut.

Autor Oliver Müller
Datum 22.05.2013
Lesezeit 8 Minuten

Wenn die Zeiten härter werden, rufen alle nach Produktivitätssteigerung. Enterprise 2.0 existiert als Konzept zur effizienteren Zusammenarbeit seit 2006, Digital Natives verbinden im Internet mittlerweile fliessend Privates und Berufliches, sie arbeiten und denken längst in Netzwerken – und trotzdem scheinen sich die traditionellen Unternehmen mit diesem tiefgreifenden Wandel schwer zu tun. Wie können wir die Produktivität in Unternehmen steigern und wohin führen uns die momentanen Trends?

Ein Interview mit Dr. Pascal Sieber und Alfred Bertschinger vom Schweizerischen Produktivitätsinstitut. In diesem ersten Interview gehen wir inbesondere auf die Produktivitätstrends in der Kommunkation ein. Im zweiten Teil, der Ende Juni an dieser Stelle erscheint, gehen wir näher auf die Produktivität in der Zusammenarbeit ein.

Sieber-Pascal

Dr. Pascal Sieber ist Geschäftsführer des Schweizerischen Produktivitätsinstituts und Träger des Mertens-Preises. Er berät Topmanager in der Unternehmensentwicklung und sorgt als Mitglied der KTI für den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis in der angewandten Forschung.

 

 

 

Bertschinger-AlfredAlfred Bertschinger ist Soziologe, Linguist und Maschinenbauer. Er arbeitet seit sechs Jahren in der Beratung und Forschung beim Schweizerischen Produktivitätsinstitut. Sein Spezialgebiet: Der Wissensarbeiter und die Produktivität.

 

 

 

 

Digicomp: Mittlerweile ist es allgemein bekannt: E-Mails sind ein Zeitfresser. Trotzdem bringen wir die E-Mails nicht aus den Unternehmen. Wieso?

Alfred Bertschinger: Vor 5 Jahren habe ich gesagt, E-Mails werden in 10 Jahren verschwunden sein, heute sage ich immer noch das Gleiche – und ich denke, wir können es schaffen. Zu deiner Frage, wieso wir die E-Mail nicht loswerden: Ich denke, der Hauptgrund ist die Verbindlichkeit. Die Leute brauchen das Schriftliche, sie wollen sich sozial versichern. Aufträge werden nicht über Yammer oder andere Instant Messaging Tools verteilt, weil der Auftraggeber den «Beweis» ablegen will. Nebenbei ist E-Mail in Zusammenarbeit mit Outlook/Notes gut für die Terminplanung des Empfängers: Pack die Mail, ziehe sie in den Kalender und terminiere deine Aufgabe – Kalender voll – 100% ausgelastet 🙂

Pascal Sieber: E-Mail ist halt immer noch das einfachste Tool. Es funktioniert online, aber auch, wenn mal gerade keine Netzverbindung da ist. Es ist persönlich und auf allen Endgeräten verfügbar. Hätten wir Kollaborationssysteme mit solch enormer Flexibilität, was die Endgeräte und die Synchronisation betrifft, könnte die E-Mail viel häufiger mit Tools ersetzt werden, die uns die Arbeit wesentlich erleichtern würden.

 

Jüngere Beispiele in Firmen wie z.B. Atos zeigen, dass es auch anders geht. Dort wurde zur Kommunikation statt E-Mail ein internes Facebook installiert. Welche Alternativen zu E-Mail gibt es auf dem Markt und was ist eure Erfahrung damit?

AB: Social Media in Unternehmen – mein Fazit ist durchwachsen. Zum einem hängt das mit der Reife der Unternehmen zusammen. Unsere Studie zu Enterprise 2.0 zeigt deutlich, dass die Kultur eine wichtige Rolle spielt. (Anm. d. Red.: Ausgewählte Ergebnisse der Studie gibts auf SlideShare.) Viele Unternehmen sind nicht reif für Social Media. Social Media ist ein Experiment, das funktioniert oder nicht, Probieren geht über Studieren.

Microsoft macht mit der MySite und der Integration von Yammer eine Grossoffensive. Zusammen mit der Kommunikationslösung Lync oder Skype sind alle Voraussetzungen für Vernetzung, Wissenstransfer und Mikrokommunikation gegeben. Für internationale Firmen, die mit verteilten Teams arbeiten, ein grosses Plus.

PS: Diese Tools sind im Prinzip geeignet für eine transparente, nachvollziehbare und gute Kommunikation. Leider gibt es aber noch wesentliche technische Barrieren. Per E-Mail kann ein Mitarbeiter ohne Rücksprache mit der IT beliebige Leute anschreiben und von Beliebigen auch Nachrichten erhalten. Bei Yammer, MySite etc. muss der Arbeitgeber einverstanden sein. Externe (Kunden, Kollegen etc.) müssen zugelassen werden, sonst kann man nicht mit ihnen kommunizieren. Es braucht also einen Bewilligungsprozess – und wer will schon einen Bewilligungsprozess anstossen, nur weil er oder sie einen Lieferanten mit in die Kommunikation aufnehmen will?

AB: Bei der Einführung beobachten wir zudem grosse Widerstände, das Management sieht Verschwendung, die Mitarbeitenden haben Angst vorm «Gläsernen Menschen». Ein Commitment zu Social Media im Management und viel Überzeugungsarbeit sind notwendig. Vielfach wollen die Unternehmen auch zu viel – kleine Schritte, langsame Angewöhnung ist die Devise.

 

Wie hoch schätzt Ihr das Einsparpotenzial bzw. Produktivitätssteigerungspotenzial durch Alternativen zur E-Mail-Kommunikation ein?

AB: In einer Studie zur Einführung von Instant Messaging für 1800 MA konnten wir zeigen, dass der ROI bei konservativer Schätzung in einem halben Jahr erreicht wird und ab dann Produktivitätsgewinne erzielt werden. Weniger Unterbrechungen, weniger Fehl-Telefonate, d.h. Partner nicht erreicht, sind die Gründe hier. Die Effekte der sozialen Kohäsion und Verwertung von bestehendem Wissen können schwer empirisch erfasst werden – das Potenzial wäre enorm.

PS: Je nach dem Charakter der Arbeit, kann die Produktivitätssteigerung sehr hoch sein. Wir haben Fallbeispiele gesehen, bei denen die Durchlaufzeit halbiert und der Zeitaufwand auf 20% gesenkt werden konnte durch den Einsatz von E-Collaboration und dem Training zur sinnvollen Anwendung. Die verteilte, sternförmige E-Mail-Kommunikation führt halt zu Missverständnissen und damit zu Verschwendung. Es passiert allzu schnell, dass jemand Tage oder Wochen an etwas arbeitet, bis dann festgestellt wird, dass im ursprünglichen E-Mail zur Auftragsvergabe ein Missverständnis vorlag. Mit guter E-Collaboration sehen die Menschen voneinander, was sie gerade tun. Ein Teamleiter kann dann sofort eingreifen, wenn er sieht, dass jemand offenbar etwas falsch verstanden hat.

 

Betrachten wir das Thema «Kommunikation» noch etwas genauer. Sollten wir wieder zurück zur persönlichen Kommunikation? Was sind die Vorteile und wann können wir mit persönlicher Kommunikation Zeit sparen oder produktiver arbeiten?

AB: Persönlicher Kontakt gehört auf jeden Fall dazu, bei weit verteilten Teams wird das aber schwierig. Wie immer gilt: emotionale Themen persönlich, zumindest telefonisch besprechen.

PS: Kommunikation über elektronische Medien ist auch persönlich. Ich finde, man sollte nicht das eine dem anderen vorziehen. Im persönlichen Gespräch kommt es auch zu Missverständnissen – und ich habe beliebig viele Face-to-Face-Sitzungen miterlebt, die man gescheiter durch eine zweizeilige E-Mail ersetzt hätte. Wer nicht gut schreiben kann, muss halt häufiger mit den anderen reden. Es gibt aber auch viele Leute, die nicht so gut reden können, die sich dann wohler fühlen, wenn sie ihre Gedanken aufschreiben können. Ein Teamleiter sollte einfach eingreifen, wenn unsinnig kommuniziert wird. Unsinnig ist es z.B., andere per E-Mail zu beschimpfen oder seitenlange Rechtfertigungen zu schreiben, mit denen die Empfänger nichts anfangen können, ausser sich zu ärgern.

 

In welchen Fällen ist eine digitale Kommunikation angebracht? Klar: E-Mails können asynchron bearbeitet werden. Aber wie fügen sich hier die vielen Chat-Programme ein und wie können wir aus dieser Form der Kommunikation produktiver werden?

AB: Die unbeliebte Statusanzeige spielt eine wichtige Rolle: Status grün heisst offen für Kommunikation, wenn man dann noch sieht, dass die Person aktuell in einem Projektraum arbeitet – sich gerade mit diesem Projekt beschäftigt – kann gezielt und ohne Unterbrechung thematisch kommuniziert werden.

PS: Ich denke, die Informations- und Wissensarbeit sollte jederzeit mit elektronischen Kommunikationsmitteln unterstützt werden. Jeder sollte jederzeit sehen können, mit wem, für wen er arbeitet, wo diese Personen gerade sind, und was sie gerade tun.

Fortsetzung folgt …


Über den Autor

Oliver Müller

Seit Juni 2012 ist Oliver Müller für das Business Development bei Digicomp verantwortlich. Er führte in dieser Funktion die Geschäfte der Somexcloud seit dem Zusammenschluss mit Digicomp und verantwortete den Aufbau neuer Lehrgänge und Kurse in Digitalem Marketing und Social Selling. Als Scrum Master hat er für Digicomp das Framework auf Unternehmensweiterbildungen adaptiert und leitet nun agile Lernsprints in Firmen mit dem Ziel "Mastering Digital Change". Mit seiner eigenen Kommunikationsfirma «King Content GmbH» berät Unternehmen in der strategischen Verwendung von digitalem Content zur Leadgenerierung oder Marketing Automation. Privat verbringt er seine Zeit in den Bündner Bergen bei Skifahren, Tennisspielen und Wein trinken vor dem Kaminfeuer.