Realer Konkurrenzkampf um die virtuelle Zukunft

Im Rechenzentrum sind virtuelle Umgebungen bereits heute alltäglich und werden an Bedeutung gewinnen. Daraus entwickelt sich ein Rennen zwischen VMware, Microsoft und Citrix. Die Ausgangslage ist offen. Mit Virtual Deep-Dive zeigen wir, was die einzelnen Lösungen konkret zu bieten haben.

Autor Bak-Heang Ung
Datum 26.02.2013
Lesezeit 9 Minuten

Im Rechenzentrum sind virtuelle Umgebungen bereits heute alltäglich und werden an Bedeutung gewinnen. Daraus entwickelt sich ein Rennen zwischen VMware, Microsoft und Citrix. Die Ausgangslage ist offen.

Verfügbarkeit, Sicherheit, Flexibilität und bessere Auslastung der Hardware-Ressourcen sind die Stichworte, die für Virtualisierung ins Feld geführt werden. Dieser Ansatz beschränkt sich nicht ausschliesslich aufs Rechenzentrum respektive Server-Umgebungen. Auch einzelne Anwendungen und ganze Desktop-Umgebungen lassen sich virtuell betreiben, was aus Kosten- und Sicherheitsgründen insbesondere bei BYOD (bring your own device) interessant wird. Geprägt wird der Markt für kommerzielle Virtualisierungs-Software von den drei Anbietern VMware, Citrix und vermehrt auch von Microsoft. Die grösste Verbreitung geniessen die Produkte von VMware.

Der Platzhirsch wird gejagt

Virtualisierung ist einer der Megatrends in der IT und wird mit der zunehmenden Nutzung von Cloud-Infrastrukturen nochmals zulegen. Das führt zu einem lebhaften Konkurrenzkampf unter den Anbietern. Weil die technische Entwicklung ebenfalls noch in vollem Gange ist, sind die Positionen noch nicht eindeutig bezogen, weder bei den Anbietern noch bei den Anwendern. Das zeigt ein Rückblick auf die Entwicklung. Die im November 2011 veröffentlichte Studie «V-Index» der auf Backup-Software für VMware spezialisierten Firma Veeam ergab, dass 84% der Unternehmen VMware einsetzen. Citrix mit 52% und Microsoft mit 43% lagen deutlich zurück. Doch die Zahlen zeigen auch, dass viele Unternehmen Virtualisierungstechniken verschiedener Anbieter einsetzen, sich also nicht auf eine Schiene festgelegt haben. Dass das Rennen offen ist, unterstreichen auch die 38% der Unternehmen, die gemäss V-Index den Anbieter wechseln wollten.

Die Konkurrenzsituation führte letztes Jahr zu einem Preiskampf. Platzhirsch VMware reagierte auf die Offensive von Microsoft mit Preissenkungen. Lizenzkosten sind im Virtualisierungsumfeld schwer zu durchschauen und zu vergleichen und hängen mit den jeweiligen Abkommen zusammen. Urs Stephan Alder, Geschäftsführer von KYBERNETIKA und VMware-Spezialist, hält Preisvergleiche für problematisch: «Dem Anwender bleibt nichts anderes übrig, als die für seine Zwecke benötigten Software-Funktionen mit dem spezifischen Lizenzvertrag und dessen Kosten zu prüfen und die einzelnen Hersteller einander gegenüberzustellen.» Ähnlich sieht dies Stephan Pfister, Geschäftsführer von Conapro und Fachbereichsleiter Citrix bei Digicomp: «Entscheidend ist, was der Kunde mit der Plattform umsetzen will und wie er sein Rechenzentrum in Zukunft betreiben möchte.» Oliver Ryf, Kursleiter für Microsoft-Server-Produkte bei Digicomp, sieht dagegen Pluspunkte für Microsoft: «Da zumindest im Bereich Server-Virtualisierung die Firmen aus lizenztechnischen Gründen die Datacenter-Version kaufen, hat Microsoft natürlich einen entscheidenden Vorteil. Darin ist die Virtualisierungstechnologie bereits enthalten.»

Preissenkungen zeigen sich etwa in einem gestiegenen Funktionsumfang für denselben Preis, etwa bei den Verwaltungswerkzeugen oder den erhöhten Leistungsgrenzen bei virtuellen Umgebungen. Weil Microsoft mit der Windows-Server-2012-Familie den Preisdruck auf Platzhirsch VMware nochmals erhöht, dürfte der Kampf um Marktanteile weiterhin auch via Portemonnaie ausgetragen werden.

Gleiche Ziele, unterschiedliche Ansätze

Die Situation auf dem Markt hat sich bis heute nicht entscheidend verändert. Nach wie vor dominiert VMware im Rechenzentrum. Die Entwicklung geht in Richtung Cloud respektive deren schnelle Bereitstellung und Verwaltung. Ganze virtuelle Rechenzentren praktisch auf Mausklick erzeugt VMware mit vCloud, einem Bündel an Technologien und Verwaltungswerkzeugen für Cloud-Umgebungen. Das System setzt auf dem eigentlichen Filetstück des Anbieters auf, dem Virtualisierungspaket vSphere. Dieses deckt den gesamten Bereich ab, von der eigentlichen Virtualisierung von Server-Umgebungen über die Bereitstellung von Speicher bis zum automatischen Lastausgleich und dem Verschieben virtueller Umgebungen über Hardware-Grenzen hinweg. VMware, die Tochtergesellschaft des Speicherherstellers EMC, konzentriert sich seit Jahren ausschliesslich auf Virtualisierungslösungen und weist damit einen Erfahrungsvorsprung auf. Urs Stephan Alder charakterisiert dies so: «Die VMware-Produkte sind am längsten auf dem Markt und haben sich über ein Jahrzehnt bewährt. Dadurch sind sie ausgereift und stabil, und technisch am weitesten fortgeschritten.»

Bedrängt wird VMware von einem Konkurrenten, dessen Server-Software in vielen Unternehmen eingesetzt und den Systemadministratoren dementsprechend vertraut ist. Mit Windows Server 2012 und der dritten Generation der Virtualisierungstechnik Hyper-V baut Microsoft das eigene Angebot aus. Dass dieses in die vorhandenen Verwaltungswerkzeuge integriert ist, sieht Oliver Ryf als grossen Vorteil gegenüber der Konkurrenz: «Für die Installation und Verwaltung virtueller Systeme kann das vorhandene Know-how auf Basis von Windows genutzt werden.» Aus dieser Ausgangslage heraus ist es wahrscheinlich, dass «Jungspund» Microsoft VMware Marktanteile abjagen kann.

Gewissermassen zwischen den Fronten bewegt sich Citrix. Mit XenServer bietet er zwar eine eigene Lösung zur Virtualisierung von Server-Umgebungen. Doch auf dem Gebiet der Desktop- und Anwendungsvirtualisierung arbeiten die Citrix-Lösungen auch mit den Angeboten der Konkurrenz zusammen. So lassen sich etwa mit XenDesktop Remote-Desktop-Lösungen konstruieren, während der eigentliche Server in einer virtuellen Hyper-V-oder VMware-Umgebung läuft. Darin sieht Stephan Pfister denn auch einen wichtigen Pluspunkt: «Diese Citrix-Produkte lassen sich in einer fremden Virtualisierungsplattform praktisch uneingeschränkt integrieren.»

Das Rennen geht weiter

Der Konkurrenzkampf im Rechenzentrum wird sich dieses Jahr fortsetzen, darin sind sich die drei Experten einig. Dave Bartoletti, Infrastrukturspezialist beim Marktforschungsunternehmen Forrester, geht davon aus, dass Unternehmen in ihren Rechenzentren verschiedene Virtualisierungstechniken einsetzen werden. «Heterogene virtuelle Umgebungen sind die Realität», schreibt er in seinem Blog. Er setzt den Schwerpunkt auf Software. Einerseits sollen die eingesetzten Unternehmensanwendungen über die Wahl der Virtualisierungstechnik entscheiden. Andererseits erwartet Bartoletti, dass sich Virtualisierung verstärkt auf Speichersysteme und das Netzwerk ausweitet: «Das ist der nächste logische Schritt.»

Ausserhalb des Rechenzentrums könnte BYOD den Einsatz von Virtualisierung beschleunigen. Virtualisierte Anwendungen und Desktop-Umgebungen ermöglichen den Zugriff auf Unternehmensdaten und Applikationen praktisch von jedem Gerät aus. Abgesehen von klassischen Remote-Desktop-Lösungen wie etwa Microsofts Terminal Services ist Virtualisierung auf Endgeräten bislang wenig verbreitet. Und dies, obwohl alle drei Anbieter Ansätze sowohl für virtuelle Desktop-Infrastrukturen (VDI) als auch für die Virtualisierung einzelner Anwendungen auf Windows-Endgeräten anbieten. VMware View respektive die gesamte «Horizon»-Suite und Citrix Receiver ermöglichen den Zugriff auf entfernte virtuelle oder physische Windows-Desktops auch auf mobilen Geräten von Apple oder mit Android-Betriebssystem. In reinen Microsoft-Server-Umgebungen sind hierfür entweder Apps von Drittherstellern nötig, oder der Zugriff erfolgt via Web-Browser und Web Access.

Sofern es sich bei den Endgeräten um Windows-Systeme handelt, lassen sich auch einzelne Anwendungen virtualisieren. Diese werden nicht lokal installiert, sondern von einem Server «gestreamt» und lokal zwischengespeichert. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass eine Unternehmensanwendung in einer sicheren Umgebung und unabhängig von der installierten Software genutzt werden kann. Ein Beispiel für solche Anwendungsvirtualisierung ist Office 2013 respektive die Mietvariante Office 365. Die jüngste Version der Büro-Suite von Microsoft wird nicht mehr herkömmlich auf dem Rechner installiert, sondern als virtualisiertes Paket in einer gesonderten Umgebung betrieben – ohne, dass sich diese im Alltag bemerkbar machen würde.

Eine Alternative zur Anwendungs- und Desktop-Virtualisierung könnte Cloud Computing bieten, kombiniert mit rein webbasierten Applikationen. Doch solche Szenarien sind in den meisten Unternehmen wohl noch nicht einmal Zukunftsmusik. In der Realität ist gerade mal der Konkurrenzkampf im Rechenzentrum voll entbrannt.

Interviews mit den Spezialisten

Wir wollten es genauer wissen und befragten drei Virtualisierungsspezialisten zu «ihren» Lösungen befragt. VMware, Citrix oder Hyper-V – welches Produkt bietet das beste Preis-Leistungs-Verhältnis? Was sind die Vor- und Nachteile und wie könnte die Zukunft der drei Virtualisierungslösungen aussehen?

Das sagt VMware-Spezialist Urs Stephan Alder im Interview

 

Das sagt Cirix-Spezialist Stephan Pfister im Interview

 

Das sagt Microsoft-Spezialist Oliver Ryf im Interview

 


Über den Autor

Bak-Heang Ung

Bak-Heang Ung ist Dipl. Betriebsökonomin FH. Sie stiess 2006 zu Digicomp. Davor war sie in verschiedenen Branchen tätig, unter anderem acht Jahre im IT-Bildungsbereich in verschiedenen Positionen in Marketing, Verkauf und Schulungsleitung. Als Manager Product Management & Sales war sie bei Digicomp für Office-Migrationen für Firmen, Firmenschulungen, alle massgeschneiderten IT- und Management-Trainings sowie das Partnerprogramm verantwortlich. Seit 2011 ist Baki Ung Mitglied der Geschäftsleitung und per 1.1.2017 CEO der Digicomp Gruppe, bestehend aus Digicomp Academy AG und Digicomp Academy Suisse Romande SA. Als operative Geschäftsführerin garantiert sie Kontinuität in Strategie, Qualität und Kundenbetreuung.