Welche Kompetenzen braucht eine agile Führungskraft?

Bei der Entwicklung von Software setzen immer mehr Firmen auf agile Methoden: Teams organisieren sich selbst, um gemeinsam ein Produkt zu entwickeln. Selbstorganisation ist der Kern der agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder Extreme Programming (XP). Dies erfordert Führungskompetenzen, die auf Vertrauen und Selbstverantwortung setzen.

Autor Uta Kapp
Datum 29.01.2013
Lesezeit 6 Minuten

Bei der Entwicklung von Software setzen immer mehr Firmen auf agile Methoden. Das heisst, Teams organisieren sich selbst, um gemeinsam ein Produkt zu entwickeln. Dies ist ein radikal anderer Ansatz als beim klassischen Projektmanagement, bei dem Aufgaben an Einzelpersonen delegiert und von der Projektleitung kontrolliert werden. Selbstorganisation ist der Kern der agilen Methoden wie Scrum, Kanban oder Extreme Programming (XP). Dies erfordert Führungskompetenzen, die auf Vertrauen und Selbstverantwortung setzen.

Kürzlich, auf meiner Reise durch Indien, stellte ich mir die Frage, worin der Unterschied liegt zwischen Selbstorganisation und Chaos.

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In Indien teilen sich Rikschas, schnelle Autos und heilige Kühe die Strasse. Die Strassen selbst aber scheinen gleichzeitig auch Fussgängerzone zu sein. Hier gilt: «Der Schwächere hat Recht.» Gleich einem Schwarm organisieren sich die Verkehrsteilnehmer, achten aufeinander und arrangieren sich. Der Tatsache, dass auch ich als Fussgänger als Teil dieses Schwarms unbeschadet an mein Ziel kam, überzeugte mich, dass es sich hier um Selbstorganisation handelt.

Ahimsa

Das Stichwort Ahimsa wurde nicht erst von Mahatma Ghandi erfunden, durch ihn aber populär. Es bedeutet Gewaltfreiheit und schliesst nicht nur Menschen ein, sondern auch Affen, Kühe und andere heilige Tiere. Der Amerikaner Marshall Rosenberg hat die Methodik der «Gewaltfreien Kommunikation» geprägt und dem Westen damit Ahimsa ein Stückchen nähergebracht.

Softwareentwicklung bedeutet an erster Stelle Verhandlung und Kommunikation. Im Unterschied zur Verhandlung im Gerichtssaal wollen wir mit unseren Kunden und Entwicklern die Anforderungen, Termine und Ressourcen immer wieder neu verhandeln. Man ist also nicht auf Gewinner und Verlierer aus; ansonsten wäre eine Produktentwicklung schnell zum Scheitern verurteilt und Motivation und Vertrauen wären dahin. Ahimsa kann hier ein Leitgedanke sein, wenn wir auch künftig vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen.

Vertrauen

Vertrauen ist ein grosses Wort, das sich wie Liebe oder Mut nicht erzwingen lässt. Es ist schneller zerstört als aufgebaut. Ehrlichkeit, Respekt, Loyalität und Verantwortung sind Kriterien, die Vertrauen flankieren.

Manager sind gefordert, wenn Teams agil arbeiten möchten und sollen. Früher oder später tauchen Konflikte auf, die agil gelöst werden müssen, wenn die Beziehung zwischen Team und Manager nicht wieder alte Muster annehmen soll. Um einem Team durch seine Konflikte hindurchzuhelfen, muss sich eine Führungskraft als Coach verdient machen statt dem Wunsch einzelner nachzugeben und als Steuerkünstler Mitarbeiter zu bestrafen oder gar zu entlassen. Stattdessen muss er darauf vertrauen, dass das Team seine Konflikte selbst lösen kann. Dies muss der Manager auch gegenüber Vorgesetzten vertreten. Er sollte dem Team also einen Vertrauensvorschuss einräumen, auch wenn dieser enttäuscht werden kann.

Führungsstärke

Auch bei agiler Produktentwicklung gibt es Normen und Regeln. Ein Framework wie Scrum stellt diese Spielregeln bereit. Diese Regeln schreiben eine regelmässige Inspektion des Erreichten vor und entsprechende Anpassungen, wenn Ziele nicht erreicht werden. Dazu müssen Ziele vorab klar definiert und allen verständlich und bekannt sein.

Der agile Werkzeugkasten hält auch für das Management alle Werkzeuge bereit, die notwendig sind, um die nötige Transparenz zu erhalten. Am Ende jeder Iteration gibt es ein Review des Produkts. Dies ist der Zeitpunkt für die Inspektion und die nötige Intervention. Die Dauer einer Iteration stellt hier das Mass für Risiko dar, das eine Führungskraft eingeht.

In einem klassischen Management-Szenario heisst Führungsschwäche, wenn man nicht sagt, wo es lang geht und Aufgaben nicht sauber delegiert und kontrolliert werden. Mitarbeiter fühlen sich nicht ermächtigt, selbst die Initiative zu ergreifen.

Bei einem agilen Management erwarten wir von den Teams, dass sie die Dinge selbstverantwortlich vorantreiben und die Ziele im Auge behalten. Das ist vielleicht nicht unbedingt jedermanns Sache. So erlebe ich in Teams immer wieder, dass Einzelne in Krisensituationen vom Management eine Lösung erwarten statt selbst aktiv zu werden. Das sind alte Muster, die nicht von alleine verschwinden. Gerade bei sehr jungen Mitarbeitern kommt die neue Art der Führung jedoch besonders gut an. Die Generation Facebook hat früh gelernt, kooperativ zusammenzuarbeiten.

Wir verlangen von der Führungskraft also Gewaltfreiheit, um das Vertrauen nicht zu zerstören. Dies erfordert mehr Fragen als Antworten. Der Manager wird hier zum Coach, der das Team zum Bewusstsein für den Kern des Problems führt.

Effektivität und Effizienz

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Eine Führungskraft muss dafür sorgen, dass ein Team effizient arbeitet. Dazu braucht es die nötigen Tools und Techniken. Dies erfordert eventuell Schulung und Investitionen. Aber wir waschen unsere Wäsche schliesslich auch mit der Waschmaschine und nicht mit dem Waschbrett am Fluss. Die wichtigste neue Aufgabe einer agilen Führungskraft ist deshalb auch, dem Team zu dienen und ihm Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen.


Über den Autor

Uta Kapp

Geschäftsführerin der AllScout GmbH in Stuttgart. Als eine Pionierin in der Softwareentwicklung begleitet Uta Kapp seit 1984 als Coach, Trainerin, Entwicklerin und Projektleiterin Unternehmen bei ihrem nächsten Entwicklungsschritt in Technologie- und Teamaspekten. Diese gehören aus ihrer Sicht untrennbar zusammen. Der Einsatz des Produktmanagement-Framework Scrum ist die Basis für die Kombination aus Prozessoptimierung und Engineering. Das Aktivieren von Kreativität, Teamsynergie und hoher Kundenorientierung bei der Softwareentwicklung, ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit. Training von Führungskräften und Teams, begleitend bei Einführung von agilen Prozessen, ermöglicht die Balance bei der Transformation in Unternehmen. Uta Kapp ist Professional Scrum Trainerin bei der Scrum.org. Nach ihrem Informatikstudium war sie in der Softwareentwicklung bei der Firma Bosch in Stuttgart tätig. Sie hat mit der Firma Microsoft, als Projektleiterin, ein Computerspiel weltweit auf den Markt gebracht und war eine der ersten Java Trainerinnen für die Firma Sun Microsystems. Ausbildungen als systemischer und Co-Active Coach ergänzen ihre technischen Kompetenzen.