Scrum als Rahmen für kontinuierliches transformatives Lernen in Unternehmen

Unternehmen wünschen sich häufig einen Blueprint, um ihr Unternehmen agil zu organisieren. Diesen Blueprint gibt es jedoch nicht. Warum im transformativen Lernen der Schlüssel liegt und wie Sie Scrum dabei unterstützt, erklärt Professional Scrum Trainerin Uta Kapp.

Autor Uta Kapp
Datum 14.04.2020
Lesezeit 14 Minuten

Ein Thema beim diesjährigen World Economic Forum (WEF) in Davos war die Frage: «How do we upskill a billion people by 2030?»

Product Owner und Scrum Master sind in der WEF-Liste der Jobs of Tomorrow namentlich aufgeführt. Auch für weitere Fähigkeiten, die Entwicklungsteams im digitalen Zeitalter benötigen, insbesondere Softwareentwicklung, Data Science und Cloud Computing, müssen Menschen ausgebildet werden.

In Trainings legen wir die Grundlage für diese neuen Fertigkeiten und helfen Unternehmen sich auf den Weg des kontinuierlichen Lernens zu begeben. Wir begleiten die Mitarbeitenden bei ihrem «Upskill».

Warum Upskill?

Im Digitalzeitalter gelten andere Erfolgsregeln als im Industriezeitalter. Weniger ist mehr. Software ist der Kern innovativer Produkte, wie Telefone, Autos und Finanzprodukte. Die erfolgreichen Unternehmen aus dem Silikon Valley sind im Digitalzeitalter entstanden. Software ist hier der Treiber.

Die Vervielfältigung von Software erfolgt durch eine einfache Kopieranweisung. Die Entwicklung eines Produktes steht nun im Mittelpunkt. Die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen ist ein kontinuierlicher Prozess. Er ist empirisch und benötigt Feedback-Schleifen zur Verbesserung.

Sogar Edison arbeitete auf diese Weise, als er die erste Glühbirne entwickelte. Er inspizierte und adaptierte mehr als 1000 Lösungen, um zu lernen, wie eine Glühbirne funktioniert. Sobald die Glühbirne perfektioniert war, wurde sie millionenfach reproduziert. Das Schulsystem, einschliesslich der Hochschulen und Managementschulen, wurde für das Industriezeitalter erfunden und optimiert. Es war die Erfolgsgeschichte der westlichen Kultur. Im digitalen Zeitalter ist dieses Paradigma veraltet, weil die Reproduktionsphase der Produkte und Dienstleistungen abnimmt.

Klassisches Management wird durch Empirismus ersetzt, das heisst Rückkopplungsschleifen zur Überprüfung und Anpassung des Produktes sind wichtiger als Effizienz. Agile Konzepte, wie Scrum setzen auf Empirik, weil so schnell überprüft werden kann, ob das Produkt für den Kunden nützlich ist. Eine Glühbirne, die nur eine Stunde brennt, wäre auch kein nützliches Produkt für die Kunden von Thomas Edison gewesen.

Transformative Dimensionen der Qualifizierung Erwachsener

Jack Mezirow leistete Pionierarbeit im Bereich des transformativen Lernens und schreibt in seinem Buch «Transformative Dimensions of Adult Learning»: «Als erwachsene Lernende sind wir in unserer eigenen Geschichte gefangen. So gut wir unsere Erfahrungen auch verstehen, wir müssen alle mit dem beginnen, was uns gegeben wurde, und innerhalb von Horizonten operieren, die durch das Sehen und Verstehen festgelegt wurden, das wir durch vorheriges Lernen erlangt haben.»

Um im Alltag unseres Berufsleben zurecht zu kommen, haben wir die Sozialisation der Schulbildung, die uns auf das Industriezeitalter vorbereitet hat, als unsere ultimative Wahrheit und Realität angenommen. Wie Mezirow es ausdrückt: «Um frei zu sein, müssen wir in der Lage sein, unsere Realität zu benennen, sie getrennt von der Selbstverständlichkeit zu erkennen und mit unserer eigenen Stimme zu sprechen. Daher wird es entscheidend, dass der Einzelne lernt, mit Bedeutungen, Sinn und Werten kritisch, reflektierend und rational umzugehen, anstatt die von anderen definierten sozialen Realitäten passiv zu akzeptieren. Die Transformationstheorie liefert eine Beschreibung der Dynamik, wie Erwachsene dies lernen können.»

Jeder einzelne muss für sich die Sozialisationskonzepte, die in den Kern seiner Realität programmiert wurde und bis in die Kindheit zurück reicht, um im Wettbewerb um Arbeitsplätze im Industriezeitalter erfolgreich zu sein, reflektieren. Nur so können wir gemeinsam zu den Konzepten kommen, die uns helfen das digitale Zeitalter für uns alle zum Positiven zu nutzen.

Wir haben mit der Einführung von agilen Herangehensweisen viel über den schwierigen Weg zu Selbstorganisation, Teamwork und Wissen teilen gelernt. Softwareentwicklungsteams haben es mit komplexen adaptiven Systemen zu tun. Spezialisten werden schnell zu Engpässen und müssen lernen, ihr Wissen zu teilen. Da fast alle Unternehmen mit Hierarchien arbeiten, in der Belohnungssysteme dieses Teilen nicht unterstützt, wird Wissen zu Macht. Wir erleben immer wieder, dass Spezialisten einen besser bezahlten Job in einem anderen Unternehmen finden und so ihr altes Team in Chaos zurück lassen. Unternehmen, die im grossem Stil mit der Veränderung ihres Managements experimentiert haben, haben sich buchstäblich die Zähne ausgebissen. Der Rang auf der Klassenliste drückt sich im Unternehmen durch Gehalt und materielle Vergütung aus. In der Gesellschaft führt Status und Gehalt zu Zugehörigkeit in Clubs und Communities. Es wäre eine Anmassung zu glauben, dass man sich über diese soziale Ordnung einfach hinwegsetzen kann.

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Unternehmen, die im Industriezeitalter entstanden sind, stossen auf Hindernisse mit ihren alten Kommandostrukturen. Auch junge Unternehmen und Start-Ups stossen bei Wachstum schnell auf die Frage, nach den Belohnungssystemen von Mitarbeitern. Daniel Pink beschreibt in seinem Buch «Drive» (hier die Kurzfassung als Youtube-Video), warum Arbeit mit hohem kognitivem Anteil, wie die Softwareentwicklung, andere Belohnungssysteme erfordert, als reproduktive Arbeit. Aufstieg in einer Hierarchie ist das schlechteste Belohnungssystem. Mitarbeiter von Unternehmen des Digitalzeitalters, wie Google, berichten, dass jeder Mitarbeiter dort 20 Prozent seiner Zeit zur freien Verfügung hat. Diese Zeit wird auch als Slack Time bezeichnet. Diese Zeit kann zum Beispiel genutzt werden, um eigene innovative Ideen umzusetzen. Jeder Mitarbeiter kann so gefühlt zum Entrepreneur und idealem Produkt Owner werden.

Manager von Unternehmen wollen von uns einen Blueprint, wie sie ihr Unternehmen agil organisieren sollen. Diesen Blueprint, wie eine Kopfschmerztablette, gibt es jedoch nicht. Die Firma Spotify hat ein System gefunden, mit dem sie ihr Unternehmen organisiert. Einige andere Unternehmen haben dies kopiert und nennen es die Spotify-Methode. Schon in dem ersten Vortrag, den ich von Spotify-Mitarbeitern dazu 2013 hörte, sagten sie, «Tut das bitte nicht!». Es gäbe keine Spotify-Methode, denn sie würden das ständig ändern, lernen und Fehler korrigieren. Jedes Unternehmen ist einzigartig und steht an seinem individuellen Lernpunkt.

Was ist transformatives Lernen?

Transformatives Lernen ist der Schlüssel für den Weg zu einem neuen Miteinander. Was wir an Schulen gelernt haben, ist nicht nur Mathematik und Physik, sondern es hat unsere Realität geprägt. Es ist unsere Sozialisation. Es hat das geformt, was wir schätzen. Es hat unser Selbstverständnis geschaffen. Wir haben vom ersten Schultag an eine Kommando- und Kontrollwelt verinnerlicht. Wir können niemals völlig frei von unserer Vergangenheit sein. Um eine so tiefgreifende Veränderung des Denkens und Verhaltens, wie die Selbstorganisation in Teams und im Management zu fördern, bedarf es mehr als eines neuen Prozesses mit neuen Regeln. Laut Mezirow «beschreibt die Transformationstheorie die Dynamik, mit der Erwachsene dies lernen.»

Das sensorische Gedächtnis wird als visuelle oder akustische Kopie von Reizen angesehen, die nur im Kurzzeitgedächtnis gespeichert werden und schnell abklingen, wenn sie nicht weiter verarbeitet werden. Dies bedeutet, dass bei Schülern, die nur Informationen lesen oder hören, diese nicht haften bleiben. Das Lernen, in dem wir das selbst erfahren, was wir lernen, stärkt unser tieferes Verständnis. Es fokussiert und erweitert unsere Erwartungen darüber, wie die Dinge sein sollen.

Scrum als Kontext für kontinuierliches transformatives Lernen

Schaut man auf die Daten des Weltwirtschaftsforums Davos 2020, dann ist es eine enorme Aufgabe, die Mitarbeiter auf den neuen Kenntnisstand zu heben. Lernen, wie Mezirow es ausdrückt, bedeutet vor allem Sinnstiftung. Die Talente von morgen wollen in der Lage sein, ihr eigenes Potenzial zu nutzen, um ihren Herzenswunsch nach Erfolg im digitalen Zeitalter zu erfüllen und gleichzeitig eine nachhaltige Zukunft gestalten. Das macht Sinn für motivierte Menschen.

Scrum-Teams haben von Natur aus einen integrierten Aspekt des experimentellen Lernens. Der Austausch von Wissen und das Lernen voneinander bilden den Kern jedes Sprints. Selbstorganisierende multidisziplinäre Teams lernen voneinander. Dies ist die Überholspur, um sich gegenseitig Wissen zu vermitteln. Unternehmen, deren ™ agil ist, tauschen nicht nur Wissen zwischen Teammitgliedern aus, sondern auch zwischen Teams. Das Ergebnis ist eine Organisation, die kontinuierlich lernt.

Dieser Aspekt von Scrum scheint die schwierigste Lernkurve zu haben. Wie bereits erwähnt, wurden die meisten Mitglieder von Systemen sozialisiert und ausgebildet, die im Industriezeitalter kultiviert wurden, in dem persönliches Wissen das grösste Kapital darstellte und nicht kontinuierliches Lernen, durch Austausch. In der Schule bekam die Person mit den meisten Kenntnissen den Preis als «Beste» des Jahres, nicht die Person, die am meisten wissen teilte. Es reicht nicht aus, die Belegschaft in 2-tägigen Scrum-Seminaren auszubilden. Das ist nur der Anfang. Ein Unternehmen ist ein komplexes, adaptives System mit Herausforderungen, die eine vollständige Systemumwandlung für das Digitalzeitalter erfordert. Da bisher nur wenige Schulen angefangen haben ihre Lernkonzepte zu ändern, wie in den Niederlanden Willy Wijnands mit EduScrum™, muss die Transformation in den Unternehmen stattfinden, wenn diese für das Digitalzeitalter gerüstet sein wollen.

Agil transformativ lernende Organisationen

Die Qualifizierung der Belegschaft in naher Zukunft ist eine grosse Aufgabe. Es ist eine Entwicklungsaufgabe, keine Designaufgabe. Es ist wie bei der Entwicklung eines neuen Produktes: Es ist neu, deshalb haben wir keinen genauen Plan. Wir können unser Unternehmen durch Inspektion und Anpassung entwickeln. Wie bei jedem anderen neuen Produkt brauchen wir einen empirischen Ansatz. Dieses neue Management-Paradigma für das digitale Zeitalter wird nicht schnell enden. Upskilling ist ein kontinuierlicher Prozess, so wie ein Teil der Software immer wieder aktualisiert werden muss, Schritt für Schritt genauso wie ein kontinuierlicher Bereitstellungsprozess. Die neue Struktur des Unternehmens wird sich dann Stück für Stück neu finden.

Sie finden die vom WEF beschriebenen Fachkräfte der Zukunft mit vielversprechenden Berufsbezeichnungen, wie Data Scientist, Artificial Intelligence Specialist oder Cloud Engineer nicht auf dem Markt oder auf einer Jobplattform wie indeed.com. Sie finden sie in der eigenen Firma. Ihre Organisationen wird die fortlaufende Schule für diese neuen Jobs sein, sobald sie entstehen und gebraucht werden.

Implementierung der transformativ lernenden Organisation

Spezielle Kerngruppen können gebildet werden, um mit- und voneinander zu lernen. Beispiele hierfür könnten sein, wie das Scrum-Framework im Unternehmen funktioniert und verbessert werden kann, oder neue Fähigkeiten, wie technische Tools, Programmiersprachen oder anderes.

Was wird benötigt, um dies umzusetzen:

  • Engagement: Um dies zu erreichen, ist Engagement und Unterstützung durch die Führung erforderlich.
  • Zeit: Die Mitarbeiter brauchen Slack-Zeit um sich dem zu widmen.
  • Kerngruppen: Mitarbeiter müssen befähigt werden, Kollegen mit denselben Lernzielen zu finden.
  • Moderation: Lerngruppen benötigen Hilfe beim Aufbau, möglicherweise von erfahrenen Scrum-Mastern.
  • Raum: Lerngruppen benötigen physischen Raum oder Online-Tools, wie Skype oder Zoom, als Meetingraum.

Es gibt viele Konzepte, wie sich Lerngruppen selbst organisieren. Einige sind

  • Working out Loud
  • Social Learning
  • Communities of Practice
  • Liberating Structures
  • und viele, viele mehr

Fazit

Transformation einer Organisation ist ein ständig andauernder Prozess, der nie zu Ende geht. Am wichtigsten ist Inspektion, Anpassung und Experimentieren. Es ist immer neu und deshalb ist jedes Unternehmen das Erste auf dem eigenen Weg. Hilfe gibt es aus der Erfahrung von anderen Unternehmen, da sich viele Pattern wiederholen. Scrum kann einen Rahmen für die Agilität schaffen, dass hilft diese individuell für das Unternehmen umzusetzen.


Über den Autor

Uta Kapp

Geschäftsführerin der AllScout GmbH in Stuttgart. Als eine Pionierin in der Softwareentwicklung begleitet Uta Kapp seit 1984 als Coach, Trainerin, Entwicklerin und Projektleiterin Unternehmen bei ihrem nächsten Entwicklungsschritt in Technologie- und Teamaspekten. Diese gehören aus ihrer Sicht untrennbar zusammen. Der Einsatz des Produktmanagement-Framework Scrum ist die Basis für die Kombination aus Prozessoptimierung und Engineering. Das Aktivieren von Kreativität, Teamsynergie und hoher Kundenorientierung bei der Softwareentwicklung, ist der Schwerpunkt ihrer Arbeit. Training von Führungskräften und Teams, begleitend bei Einführung von agilen Prozessen, ermöglicht die Balance bei der Transformation in Unternehmen. Uta Kapp ist Professional Scrum Trainerin bei der Scrum.org. Nach ihrem Informatikstudium war sie in der Softwareentwicklung bei der Firma Bosch in Stuttgart tätig. Sie hat mit der Firma Microsoft, als Projektleiterin, ein Computerspiel weltweit auf den Markt gebracht und war eine der ersten Java Trainerinnen für die Firma Sun Microsystems. Ausbildungen als systemischer und Co-Active Coach ergänzen ihre technischen Kompetenzen.