Digital Recruiting – eine ethische Betrachtung

Die Digitalisierung verändert so einiges. Doch was bedeuten diese Veränderungen für das Recruiting? Ein Gespräch mit Recruiting-Experte Michel Ganouchi.

Autor Sheila Karvounaki
Datum 25.03.2019
Lesezeit 5 Minuten

Die Digitalisierung verändert so einiges: Arbeitsprozesse, Arbeitstools, Arbeitsplätze usw. Arbeitnehmende und Arbeitgebende sind digital präsent, an allen Fronten werden Social-Media-Profile erstellt und Branding betrieben – manchmal bewusst und zuweilen unbewusster. Was bedeutet dies für das Recruiting?

Stellen wir uns folgende Situation vor: Maria hat ein privates Facebook-Profil und benutzt auch Twitter privat. Entsprechend postet sie ihre persönliche Meinung zu allerlei und gibt Einblicke in ihr Privatleben. Je nach Privatsphäreneinstellungen sind diese Einblicke mehr oder weniger öffentlich. Nun bewirbt sie sich für eine Stelle und der zuständige HR-Verantwortliche schaut sich ihre Bewerbung an. Der Schritt dahin, Maria zu googeln, ist minim – liegt heute schon fast auf der Hand. Doch was tut der HR-Verantwortliche nun mit dieser Möglichkeit, wie schätzt er die gefundenen Informationen ein, wie bewertet er sie?

Rechtlich betrachtet, ist die Sachlage klar: Gemäss OR (Art. 328b) ist es untersagt, private Profile von Bewerbern und Bewerberinnen zu screenen, wenn man eine Bewerbung erhalten hat. Eine Ausnahme bilden Xing und LinkedIn, da der Zweck der Business-Plattformen allen Nutzenden bekannt ist bzw. sein sollte und der berufliche Kontext klar ist.

Die Praxis ist jedoch oft eine andere – seien wir ehrlich. Daher gilt es, sich umso mehr der Frage der Haltung zu widmen. Der Haltung dazu, ob man solche Personen-Recherchen im Rekrutierungsprozess durchführt und noch viel mehr, wie man die dabei erhaltenen Informationen beurteilt, einschätzt und einstuft. Oder sollen Private jegliche Social-Media-Plattformen nur noch als Schaufenster benutzen, in dem alles geglättet und beschönigt ist? Wie gehen wir mit der steigenden «Durchsichtigkeit» um – auf beiden Seiten? Wir haben darüber mit dem Digital-Recruiting-Experten Michel Ganouchi gesprochen.


Michel, du bist u.a. Recruiting-Experte und beratend in diesem Bereich tätig. Welche Entwicklungen beobachtest du hinsichtlich des Einsatzes von Social Media im Digital Recruiting auf Unternehmensseite?

Der Trend geht eindeutig, wenn auch langsam, in Richtung pro-aktive Kandidatensuche, auch bekannt als «active sourcing». Dazu eignen sich insbesondere die Businessnetzwerke Xing und LinkedIn. Aber auch andere Social-Media-Plattformen müssen in einer ganzheitlichen Betrachtung näher evaluiert werden. Andere mögliche Verwendungszwecke wie z.B. Community Building und Storytelling findet aus Arbeitgebersicht eher selten statt. Das ist nach wie vor Marketing- oder Corporate-Communications-Territorium. Auch werblich z.B. zur Verbreitung von Stellenanzeigen oder Employer-Branding-Massnahmen wird noch wenig unternommen in Social Media.

Wie sieht es deiner Einschätzung nach auf der anderen Seite aus, bei den privaten Profilen?

Ich empfehle immer, alle Kanäle gleich sorgfältig zu pflegen. Abhängig vom Umfeld, darf man sich durchaus unterschiedlich positionieren. Auf Business-Netzwerken gilt es, das berufliche Profil entsprechend darzustellen, in privaten geht man meistens persönlichen Interessen nach. Entsprechend ist der Auftritt anders. Nichts desto trotz: der «Personal Brand» wird durch alles gesteuert, was man von sich gibt. Man sollte sich also immer bewusst sein, wie Dritte einen wahrnehmen. Und in privaten Netzwerken können Dritte durchaus auch mal Business-Vertreter sein. Es gibt ja zunehmend weniger Trennschärfe in der Abgrenzung von Privatem und Beruflichem. Oder eben: Recruiter schauen halt entgegen rechtlichen Grundlagen trotzdem mein Facebook-Profil an. Grundsätzlich würde ich privat immer vorsichtig sein mit Extremen. Egal ob in politischer, religiöser oder anderer Hinsicht.

Du berätst Unternehmen hinsichtlich ihres Digital Recruitings. Ist das Bewusstsein für die Frage der Haltung vorhanden?

Zumeist nicht. Man geht eher davon aus, dass Personen für ihre Inhalte auf allen Kanälen selber verantwortlich sind. Zudem wissen Recruiter ja, dass Kandidaten, die wegen eines verstörenden Eindrucks z.B. auf Facebook nicht zu einem Interview eingeladen werden, gar nie erfahren können, dass sie deshalb nicht eingeladen wurden … Die Situation ist irgendwie realitätsfremd. Eigentlich dürfte ich nicht mal Google für ein Personenscreening nutzen …

Apropos Haltung: Das ist ja immer so eine Sache … Was könnte der gemeinsame Nenner in Bezug auf die Haltung hier sein? Was wäre dein Vorschlag?

Wir sind verpflichtet dazu, Gesetze zu berücksichtigen. Also halten wir uns daran. Abklärungen zu Kandidatinnen über Xing und LinkedIn sind ok, alles darüber Hinausgehende nicht. Vielleicht ändert sich der Common Sense dahingehend, dass auch die Nutzung privater Netzwerke für Business-Zwecke als selbstverständlich gilt. Heute sind wir aber nicht so weit. Schräg ist, dass es moderne Tools gibt, die sich aber um solche Grundlagen foutieren und persönliche Profile aggregieren, egal ob in beruflichem oder privatem Kontext. Die Kluft zwischen Realität und Rechtssprechung ist wie oft im digitalen Raum leider auch hier riesig.


Über den Autor

Sheila Karvounaki

Sheila Karvounaki Marti hat Journalismus und Organisationskommunikation studiert und hat sich über die Jahre auf Online-Kommunikation spezialisiert. Sie ist Community Managerin bei Digicomp und berät als Freelancerin verschiedene KMU bei ihren Online-Aktivitäten. Sie war Leiterin Kommunikation & Community Management an der SOMEXCLOUD GmbH und 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, im Bereich der Projektleitung und -organisation sowie in der Forschung tätig.