Die positive Kraft der Zerstörung – wenn disruptive auf digital stösst

Sollte Disruption Teil des digitalen Wandels und entsprechend auch Teil von digitalen Strategien sein? Ein Gespräch mit Marc Hauser, Ecosystem Strategist.

Autor Sheila Karvounaki
Datum 15.10.2018
Lesezeit 6 Minuten

Genauso wie «Digitale Transformation» ist auch «disruptive» ein gerne verwendeter Begriff – den jedoch viele nicht ganz zu fassen kriegen. Ob und inwieweit Disruption Teil des digitalen Wandels und entsprechend auch Teil von digitalen Strategien ist und sein sollte, haben wir mit Marc Hauser, Ecosystem Strategist sowie Consultant und Speaker rund um Digitalisierung, diskutiert.


Marc, wir kennen uns aus einem Referat von dir zum Thema Disruption. Kannst du uns kurz aufzeigen, was unter Disruption zu verstehen ist?

Wo Fortschritt stattfindet, dort gibt es nicht nur Gewinner, sondern definitiv auch Verlierer. Die zerstörerische Kraft der Innovation alias Disruption, wie sie Clayton Christensen in seinem Buch «Innovator’s Dilemma» so eindrücklich beschreibt, diese Kraft ist gerade dabei, sich zum eigentlichen Sturm zu entwickeln. Die Blogs der Futuristen übertreffen sich an Utopien oder Distopien. Ein näherer Blick offenbart jedoch, dass trotz den exponentiellen Fortschritten in den Spitzentechnologien wie beim Machine Learning (AI), Robotik, digitale Bio-Sensoren, DNA Editierung (CRISPR) oder 3-D-Printing, die Herausforderungen in unserem unmittelbaren Alltag sich eigentlich immer nur um «Digitalisierung» und die «digitale Transformation» zu drehen scheinen.

Dabei sind mittlerweile die meisten Industrien und Berufsfelder zu einem gewissen Grad bereits digitalisiert: Der einstige Automechaniker ist Mechatroniker und verbindet das Auto mit seinem Analysegerät, bevor er auch nur die Motorhaube öffnet. Die unmittelbarste aller Herausforderungen ist die digitale Transformation als Resultat der Digitalisierung: Vor ca. 15 Jahren wurde die Reisebranche von den ersten Buchungsportalen faktisch niedergewalzt. Heute ist das Reisegeschäft digital und das Reisebüro vor Ort ein punktueller Zusatzservice.

Apropos digitale Transformation: Digicomp hat sich «Mastering Digital Change» zum Thema gemacht und befasst sich sowohl intern als auch im Rahmen ihres Angebots intensiv mit der Frage, was es braucht, um den digitalen Wandel anzugehen und positiv zu gestalten und zu nutzen. Wäre demnach Disruption ein fester Bestandteil des notwendigen Skill-Sets?

Kaum in einem anderen Bereich wie in der ICT haben Entwicklungsschritte eine so kurze Halbwertszeit. Oder würdest Du Dein Mobilgerät freiwillig wieder gegen das erste iPhone oder Android eintauschen? Die alte Binsenweisheit bestätigt sich immer wieder: Die einzige Konstante ist der Wandel selbst.

«Mastering Digital Change» ist genau das, was sowohl Unternehmen, aber auch alle Berufsleute für sich selbst angehen müssen. Unsere täglichen Routineaufgaben werden Computer und Roboter schon bald ganz übernehmen, während wir alle noch stärker in einem kontinuierlichen Projektmodus tätig sein werden. Wie können wir uns nun auf eine Zukunft vorbereiten, die wahrscheinlich gar nicht bis zu unserer Pensionierung vorgezeichnet ist? Nebst der unabdingbaren Bereitschaft, stets Neues zu lernen, benötigen wir auch Konzepte, Methoden und Werkzeuge, um das «Lernen zu Lernen» noch effizienter zu machen. Diesen Fragen stellen wir uns gerade selbst in unserem neuen Projekt «Sync Tank» der Stratac AG.

Wie erlebst du das in deinem Alltag, denkst du, dass Unternehmen und Mitarbeitende bereits in der Lage sind, mit diesem disruptiven Anteil des Wandels umzugehen? Haben sie die notwendige Einstellung, um das Disruptive positiv zu nutzen und einzusetzen?

Aus meiner Beobachtung sind gerade die Führungskräfte der grösseren Firmen einer operativen Hektik und digitalen Doktrin verfallen. Alle haben verstanden, dass Wandel stattfinden muss. Aber wie genau das eigene Unternehmen an einem sich rasant verändernden Marktumfeld neu auszurichten und dabei gleichzeitig zu reorganisieren ist, das überfordert gerade sehr viele. Ein sehr prominentes Beispiel und Beleg für die aktuelle Hysterie ist die inflationäre Verwendung des Begriffes «Agilität» oder neudeutsch «agile». Nur «agile» kann die erforderliche «Acceleration» (Beschleunigung) des Wandels erreicht werden. Allzu oft geht vergessen, dass keine Methodik solides Wissen und Handwerk ersetzt und gewisse Prozesse sich einfach nicht stärker beschleunigen lassen, sofern Zusatzkosten und Verzögerung der Nachbesserung eine Rolle spielen.

Hier muss von den Führungskräften umgedacht werden. In Zukunft wird keine Befehlsausgabe- und Überwachungsstelle benötigt, sondern Unterstützung durch Entlastung von bürokratischem Ballast und Politik. Mitarbeitende werden vermehrt zu gefragten Spezialisten und diese benötigen ein konstruktives, resultateorientiertes Umfeld. Die Führungskraft hat die Aufgabe, dieses Umfeld für das ganze Team zu gewährleisten.

Womit wir beim Individuum angelangt wären und der Frage nach den konkreten Bereichen und Skills, die ein Mensch heutzutage haben sollte, um konsequent den digitalen Wandel zu meistern. Was meinst du dazu?

Nebst vertiefenden Skills wie beispielsweise Programmiersprachen (z.B. Python) benötigen wir Meta-Skills, also Fertigkeiten zum weiteren Erwerb von Fertigkeiten. Wie bereits schon erwähnt, folgt aus dem beschleunigten Wandel eine steilere Lernkurve für uns alle. Wenn Wissen rascher veraltet, müssen wir effizienter lernen zu Lernen, um das Wissen aktuell zu halten. Ferner ist systemisches Denken elementar, um mit wechselseitigen Abhängigkeiten und Komplexität ansatzweise umzugehen. Von Natur aus sind wir dem linearen Denken und kognitiven Verzerrungen (Cognitive Bias) ausgeliefert: Viele Menschen sind der Überzeugung, dass je länger sie im Casino an einem der Glücksspiele dranbleiben, desto grösser die Chance (endlich) zu gewinnen. Unsere logisches Denkvermögen müsste uns jedoch davor warnen, denn die Wahrscheinlichkeiten sind immer konstant unverändert. Auf diesen drei Pfeilern in Kombination mit seriösen, kompetenten Informationsquellen sind wir alle in der Lage, den Status Quo und die künftigen Entwicklungen zu analysieren und für unsere Zukunft zu deuten. Idealerweise wird es bald ein Angebot in Sinne eines Assessments geben, das diesen Initialisierungsprozess noch beschleunigen wird …


Über den Autor

Sheila Karvounaki

Sheila Karvounaki Marti hat Journalismus und Organisationskommunikation studiert und hat sich über die Jahre auf Online-Kommunikation spezialisiert. Sie ist Community Managerin bei Digicomp und berät als Freelancerin verschiedene KMU bei ihren Online-Aktivitäten. Sie war Leiterin Kommunikation & Community Management an der SOMEXCLOUD GmbH und 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, im Bereich der Projektleitung und -organisation sowie in der Forschung tätig.