Digital Collaboration – ohne Kommunikation ist alles nichts

Was braucht es, um sowohl analog als auch digital erfolgreich und zufriedenstellend zusammenzuarbeiten? Ein Interview mit Mirjana Jaksic.

Autor Sheila Karvounaki
Datum 27.09.2018
Lesezeit 11 Minuten

Einigen wir uns darauf, dass Arbeit für die meisten von uns etwas Essenzielles ist. Wir arbeiten gern und suchen deshalb auch ständig nach einer Beschäftigung. Und weil wir soziale Wesen sind, ist es doch super, können wir uns bei der Arbeit mit anderen austauschen, gemeinsam an Projekten arbeiten, gemeinsame Ziele erreichen – Collaboration ahoi!

Dank den technologischen Möglichkeiten sind wir super flexibel geworden, können uns immer und überall einbringen, unser Wissen mit wenigen Klicks (und etwas Zeit) erweitern und mit anderen teilen und und und …

Viele Fachpersonen und Organisationen haben die Aspekte der Teamarbeit bzw. Zusammenarbeit auf allen Ebenen erforscht und sehr gut dokumentiert. Die Technologien werden zunehmend besser und günstiger, die Tools immer benutzerfreundlicher. Und trotzdem entwickelt sich die Begeisterung und damit auch die digitale Transformation nur sehr langsam. Die Übersetzung der Theorie in die Praxis scheint nicht so recht zu gelingen. Was braucht es also, um auch digital erfolgreich und zufriedenstellend zusammenzuarbeiten? Ein Interview mit Mirjana Jaksic.


Mirjana, was hältst du vom Begriff «Collaboration»

Der Begriff ist sehr vieldeutig und darin liegt auch der Krux. Jede_r versteht etwas anderes darunter, es fehlt eine eindeutige Definition. Geht man vom lateinischen «colaborare» aus, hiesse es «zusammen arbeiten», doch was heisst das schon konkret? Viele Collaboration-Projekte starten schon mit der Voraussetzung von unterschiedlichsten Verständnissen, impliziten Erwartungen und Vorstellungen – da liegt viel Risiko drin. Jede_r hat das Gefühl, zu wissen, was unter Collaboration zu verstehen ist, und wenn nicht bereits zu Beginn der Effort betrieben wird, den Begriff zu klären, können Projekte schon mal deswegen den Bach runter gehen.

Du hast ja eine Bachelor-Thesis zum Thema geschrieben, wie würdest du «Collaboration» definieren?

Für die Bachelor-Thesis habe ich natürlich die theoretischen Grundlage dafür recherchiert. Es existieren dazu viele Studien und eine breite Fachliteratur. Mir erscheint insbesondere die Kommunikation eine zentrale Voraussetzung für die erfolgreiche Zusammenarbeit bzw. Collaboration zu sein. Dazu hat Blakar (1985) fünf zentrale Aspekte benannt:

  1. Motivation, miteinander zu kommunizieren
  2. Gemeinsame Realität bzw. eine gemeinsame Sprache, sprich ein Grundverständnis über die gemeinsame Aufgabe
  3. Fähigkeit die Perspektive von jeweils anderen zu übernehmen
  4. Gemeinsame Kommunikationsregeln und gemeinsame Definition von Konsequenzen für Regelverstösse
  5. Schwierigkeiten und Fehler in der Kommunikation wahrnehmen und entsprechend bewerten

Diese fünf Punkte spielen für mich sowohl in einer virtuellen als auch in einer klassisch-zentral organisierten Zusammenarbeit eine essentielle Rolle.

Sprichst du da rein theoretisch oder auch aus Erfahrung?

Sowohl als auch, wobei die Theorie meine Erfahrung unterstreicht. Schaut man z.B. den Punkt der Motivation an: Man könnte meinen, es sei selbstverständlich, dass Mitarbeitende motiviert sind, unter- oder miteinander zu kommunizieren. In der Praxis zeigt sich jedoch, dass es auch Personen gibt, die sich für Experten oder Expertinnen halten und entsprechend kein Interesse an Kommunikation und Austausch sowie der Perspektive anderer zu haben scheinen. Wer kennt den Satz nicht: «Das mach ich schon zum x-ten Mal, du musst mir nicht erklären, wie ich es zu tun habe.» Solchen Menschen fehlt also die Motivation und das hat grosse Auswirkungen auf alle weiteren Aspekte.

Gibt es noch weitere Aspekte, die eine Rolle spielen können?

Ja, es gilt auch zu unterscheiden, ob sich ein Team neu formiert, z.B. für ein bestimmtes Projekt oder ob man als neue Mitarbeiterin in ein bestehendes Team kommt. Im ersten Fall ist die Motivation grundsätzlich höher und aufgabenorientiert. Die Konstellation ist so, dass sich zumindest die meisten Teammitglieder noch nicht oder nur vage kennen, alle diesbezüglich in einer ähnlichen Position sind und eine gemeinsame Ausgangslage teilen. Das gibt dem Team die Chance, so quasi auf grüner Wiese die Zusammenarbeit gemeinsam zu definieren. Im zweiten Fall bestehen bereits gewisse Grundlagen (organisationaler, struktureller und kultureller Natur) und als Neuling hat man weniger Möglichkeiten, mit zu definieren. Man kommt eher hinzu und muss sich die Gegebenheiten erklären lassen. Als Neuling gilt es einerseits eine gewisse Bereitschaft, die Gegebenheiten anzunehmen. Gleichzeitig besteht durchaus die Chance, bestimmte Muster zu hinterfragen und herauszufordern. Geschieht dies konstruktiv und in der richtigen Balance, kann es zu positiver Weiterentwicklung auf beiden Seiten kommen. Dies wiederum erleichtert dann die kommunikative Basis in der Zusammenarbeit.

Wir haben jetzt eher von «Offline»-Zusammenarbeit gesprochen. Wie sieht es mit digitaler bzw. Virtual Collaboration aus?

Die kommunikativen Grundlagen bleiben die gleichen. Man kann einerseits analoge Arbeiten virtuell bzw. digital übersetzen, z.B. Besprechungen statt f-2-f online führen. Dies lässt sich leichter durchführen, wenn das Team und somit die gemeinsame Kommunikationsbasis bereits besteht.

Bei einem neu geformten Team gilt es auch, virtuell zuerst die gemeinsame Kommunikationsbasis zu bilden. In vielen Projekten wird dies z.B. durch ein analog organisiertes und zuweilen moderiertes Kick-off angestrebt. Jedes Team durchläuft die 5 Phasen forming, storming, norming, performing und adjourning. Je mehr Effort in das Forming hineinfliesst, desto effizienter kann ein Team die restlichen Phasen bewältigen.

Ist es wichtig, dass dieses Kick-off analog stattfindet?

Es gilt natürlich, die gegebenen Möglichkeiten zu betrachten. Der Vorteil eines analogen Kick-offs liegt in der sogenannten sozio-emotionalen Signatur. Diese ermöglicht neben der reinen Aussage einer Person, eine Bewertung und Einschätzung eben dieser Aussage. Da spielen Effekte wie die Mimik, die Tonalität, die Gestik und weitere mit hinein. Insbesondere weil man sich in neu zu formenden Teams noch nicht kennt, hilft diese Signatur dabei, das Gegenüber und dessen Botschaft richtig zu verstehen und besser einzuordnen.

Selbstverständlich funktioniert dies auch in virtuellen Räumen, wie z.B. mittels Video-Konferenzen. Da kommt uns die technische Entwicklung sehr entgegen.

Wenn wir schon bei der technischen Entwicklung sind: Gibt es Technologien, die Collaboration bzw. virtuelle Collaboration im Speziellen unterstützen können?

Mittlerweile gibt es grundsätzlich sehr viele Tools. Auch hier gilt es jedoch, auf die Gemeinsamkeiten im Team zurückzugreifen. Besteht z.B. eine Vorliebe für Microsoft, liegt es nahe, sich im Microsoft-Universum nach möglichen Tools umzuschauen. Gleiches gilt auch für Google oder weitere Tools wie beispielsweise Asana, Trello oder Slack.

Gleichzeitig sollte in diesem Kontext  auch die Aufgabe des Teams betrachtet werden. Welche Tools und Funktionen brauchen wir, um unsere Aufgabe effizient zu bewältigen? Die Antwort darauf ist auch sehr branchen- und themenspezifisch. Soll etwas geplant werden, geht es um ein Bau- oder ein Bildungsprojekt, handelt es sich um das Thema Design usw. Hier gibt es jeweils Tools, die besser und weniger gut geeignet sind.

Wenn ich also eine gemeinsame Kommunikationsbasis festlege und das richtige Tool aussuche, steht einer erfolgreichen Collaboration bzw. virtueller Collaboration nichts mehr im Weg?

Doch, der Mensch 🙂 Und natürlich noch jede Menge anderer Faktoren. «Erfolgreich» bedeutet nicht für jeden das Gleiche, deshalb braucht es die gemeinsame Definition, was das Team als «erfolgreich» betrachtet.

Im Verlauf eines Projekts kann es immer wieder zu schwierigen Situationen kommen, die sowohl die Zusammenarbeit als auch die Realisierung einer bestimmten (Teil-)Aufgabe beeinträchtigen können. Beispiele dafür können sein:

  • Budgetkürzungen
  • Kunde ändert seinen Anspruch
  • bestimmtes Material kann nicht beschafft werden
  • Preiserhöhungen
  • ein Teammitglied fällt zeitweise aus oder kündigt
  • etc.

Ob es sich um externe oder interne Faktoren handelt, spielt dabei nicht per se eine Rolle. Vielmehr habe ich in meiner Bachelor-Thesis belegt, dass ein Team, das eine «gemeinsame Sprache» etabliert hat, viel schneller und flexibler auf veränderte Situationen reagieren kann. Dies gilt sowohl für klassisch als auch virtuell aufgestellte Teams.

Ebenfalls hat sich herausgestellt, dass die gemeinsame Sprache nicht unweigerlich gleich zu Beginn der Zusammenarbeit definitiv definiert sein muss. Das wäre zwar der Idealfall, allerdings können auch Teams reüssieren, die die gemeinsame Sprache während des Projekts entwickeln. Konflikte können ein Team diesbezüglich auch stärken, sofern sie konstruktiv gelöst werden.

Viele Unternehmen gehen zurzeit den Weg von Holacracy und Scrum. Spielt bei solchen Methoden Collaboration eine wichtigere Rolle?

Bei Holacracy und Scrum kommen natürlich noch weitere Themen hinzu. Da geht es um Positionen, Rollen, je nach dem auch um den Machtverlust – psychologisch sehr spannend. Solche Fragen spielen vor allem auf einer individuellen Ebene, es geht um nichts Geringeres als die (Neu-)Bewertung von Arbeit. Die muss am Ende jede Person für sich selbst machen. Gleichzeitig hat eben diese individuelle Bewertung einen grossen Einfluss auf z.B. die Motivation. Womit wir wieder bei den fünf Aspekten von Blakar wären. Auch hier sind sie grundlegend für das Gelingen.

Dein Tipp an alle, die ihre Zusammenarbeit bzw. Collaboration verbessern wollen oder gerade davor stehen, ein neues Team zu bilden?

Unbedingt bei sich selbst anfangen und sich selbst  und die eigenen Werte, Gewohnheiten, Einstellungen und Arbeitsweisen hinterfragen. Inwieweit bin ich überhaupt bereit für eine Veränderung? Grundsätzlich gilt es, den Dingen eine Chance zu geben, sei es Holacracy, Scrum oder schlicht der digitale Wandel: Nichts davon ist per se der Teufel. Neue Formen und Methoden bergen durchaus viele Chancen, neue Erkenntnisse und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Ich zitiere hier gerne Einstein: «Die reinste Form des Wahnsinns ist es, immer wieder das Gleiche zu tun und dabei unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten.»

 

Info-Box

Mirjana_Jaksic_CollaborationMirjana Jaksic ist aktuell Projektmanagerin an der FHNW. Sie hat Arbeits- und Organisationspsychologie an der FHNW studiert und schliesst gerade ihr Master-Studium in Information- & Data-Management an der HTW Chur ab. In ihrer Bachelor-Thesis «Kommunikation in virtuellen Projektteams – am Beispiel eines internationalen studentischen Projekts» im Rahmen des Psychologie-Studiums hat sie die Dynamik von Teamkommunikation im Projektverlauf untersucht. Die zentralen Ergebnisse der Arbeit finden Sie auf ihrem LinkedIn-Profil.


Über den Autor

Sheila Karvounaki

Sheila Karvounaki Marti hat Journalismus und Organisationskommunikation studiert und hat sich über die Jahre auf Online-Kommunikation spezialisiert. Sie ist Community Managerin bei Digicomp und berät als Freelancerin verschiedene KMU bei ihren Online-Aktivitäten. Sie war Leiterin Kommunikation & Community Management an der SOMEXCLOUD GmbH und 10 Jahre als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften, im Bereich der Projektleitung und -organisation sowie in der Forschung tätig.