Geschäftsregeln erfordern klare Konzepte

Alle schreien nach Agilität, nicht nur in der Software-Entwicklung, sondern auch im Business, also in den Geschäftsprozessen und -regeln. Agil zu sein heisst aber nicht «schnell-schnell» und «mach-mal-husch»! Echte Agilität erfordert ein stabiles Fundament, ein tiefes Verständnis des eigenen Fachgebiets. Ronald Ross, Mitautor des «Business Agility Manifesto», bezeichnet diese Voraussetzung als «Strukturiertes Fachvokabular».

Autor Serge Schiltz
Datum 23.04.2018
Lesezeit 9 Minuten

In der Fachwelt des Geschäftsregelmanagements ist Ronald Ross einer der ganz prominenten Autoren. Als Mitautor des «Business Agility Manifesto» hat Ross die Grundsätze für die Gestaltung von Regelsystemen massgeblich mitgeprägt.

In seinem Buch «Business Rule Concepts – Getting to the Point of Knowledge» fordert er eindeutige Klarheit bei den Fachkonzepten, auf die Geschäftsregeln (und auch Geschäftsprozesse) wirken. Ein «Strukturiertes Fachvokabular» ist gemäss seiner Sicht eine der Voraussetzungen, um erfolgreich «echte» Agilität zu erreichen.

Nomenkonzepte und Faktentypen

Die Art und Weise, wie wir unsere alltäglichen Geschäftstätigkeiten gestalten, ist massgeblich geprägt durch eine Fachsprache. In einem Versicherungsunternehmen würden wir zum Beispiel die Aussage machen, dass Peter Muster die Police 1234 abschliesst. Wir verbinden hier zwei Nomen mit Hilfe eines Verbs, um eine Aussage oder – wie wir sagen – einen Fakt zu formulieren. Hinter den verwendeten Nomina stehen fachliche Konzepte, die in unserer Fachsprache eine klare, einheitliche Bedeutung für unser Fachgebiet haben; diese werden als Nomenkonzepte bezeichnet. Die verallgemeinerten Aussagen, also die durch Fakten dargestellten Konzepte, nennen wir Faktentypen. Die Menge der so in einem Fachgebiet verwendeten Begriffe bezeichnet man als «strukturiertes Fachvokabular». Es ermöglicht uns, unsere Ideen und Vorstellungen betreffend die Geschäftstätigkeit auszudrücken und uns auszutauschen.

Zusammengefasst besteht ein strukturiertes Fachvokabular also aus zwei Komponenten:

  • Nomenkonzepte, die die Grundelemente unseres Fachs darstellen
  • Faktentypen, die mit Hilfe von Verben Aussagen über mögliche Beziehungen zwischen den Nomenkonzepten machen

Ronald Ross vergleicht Nomenkonzepte und Fakttypen mit den Knochen und Bändern im menschlichen Körper: die Knochen als feste Elemente und die Bänder als Verbindungen zwischen ihnen.

In der folgenden Tabelle sind beispielhaft ein paar Begriffe aus dem Versicherungswesen definiert.

Begriff Definition
Rechtssubjekt Ein von der Rechtsordnung anerkannter (potenzieller) Träger von subjektiven Rechten und Pflichten
Juristische Person Eine Personenvereinigung oder ein Zweckvermögen mit gesetzlich anerkannter rechtlicher Selbstständigkeit
Natürliche Person Der Mensch als Träger von Rechten und Pflichten
Versicherte Person Die natürliche Person, auf deren Leben die Versicherung ausgestellt ist
Prämienzahler Das natürliche oder juristische Person, die dem Versicherer die Prämien bezahlt
Versicherungsnehmer Der Vertragspartner (einzeln oder kollektiv) des Versicherers
Prämie Der Preis, den der Versicherungsnehmer dafür entrichtet, dass der Versicherer im Schadenfall die vereinbarten Leistungen erbringt
Versicherungsvertrag Ein zweiseitiger Vertrag zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer

 

Die nächste Tabelle zeigt Beispiele für mögliche Aussagen (oder Fakten) zu diesen Begriffen.

Aussage
Ein Rechtssubjekt ist eine natürliche oder eine juristische Person.
Eine versicherte Person ist eine natürliche Person.
Ein Prämienzahler ist ein Rechtssubjekt.
Ein Versicherungsnehmer ist ein Rechtssubjekt.
Ein Prämienzahler zahlt eine Prämie.
Eine Prämie wird für einen Versicherungsvertrag entrichtet.
Ein Versicherungsnehmer schliesst einen Versicherungsvertag ab.
Ein Versicherungsvertrag ist auf eine versicherte Person ausgestellt.

 

Anforderungen an die Nomenkonzepte

Um Geschäftsregeln effektiv vermitteln zu können, muss für jeden Begriff eine im Fachverständnis präzise Definition gegeben werden. Die Begriffe des strukturierten Fachvokabulars sollten darum folgende drei Anforderungen erfüllen:

  • Grundlegend
    • Ein Begriff sollte etwas für das Fach Grundlegendes darstellen, das heisst der Begriff sollte nicht aus anderen Begriffen abgeleitet oder berechnet werden können. Ein Begriff, der abgeleitet oder berechnet werden kann, sollte als Gegenstand einer Geschäftsregel definiert werden.
  • Abzählbar
    • Ein Begriff sollte etwas darstellen, dessen Instanzen diskret, also abzählbar sind. Ein Begriff, der eine Sammel- oder Massen-Bedeutung hat (z.B. Ware, Personal, Inventar) sollte heruntergebrochen werden in seine abzählbaren Bestandteile (z.B. Produkt, Angestellter, Gegenstand). Dies sind die grundlegenden Nomenkonzepte des Fachvokabulars.
  • Nichtprozedural
    • Ein Begriff sollte immer etwas darstellen, über das wir etwas wissen können, statt wie etwas vor sich geht. Anders gesagt, ein Fachvokabular betrifft Wissen, nicht Tätigkeiten, Prozesse, Transformationen oder Vorgehensweisen, die Wissen produzieren oder anwenden. Ein Fachvokabular kann zum Beispiel die Begriffe Versicherungsnehmer und Versicherungsvertrag enthalten, jedoch kein Vorgehen zur Erfassung eines Versicherungsantrags.

Faktenmodelle

Das strukturierte Fachvokabular der Nomenkonzepte und Faktentypen kann selbst für einen eingegrenzten Kontext komplex und unübersichtlich werden. Oft kann es hilfreich sein, mit Hilfe eines grafischen Faktenmodells, wie beispielhaft im folgenden Bild gezeigt, Beziehungen zwischen den Nomenkonzepten zu visualisieren.

Die Verwendung von grafischen Faktenmodellen hat den Vorteil, dass das menschliche Auge oft sehr gut Probleme erkennt.

Strukturiertes Fachvokabular

Ein strukturiertes Fachvokabular definiert die Nomenkonzepte und die Faktentypen eines Fachgebiets allgemein oder innerhalb eines Unternehmens. Es ist aber wichtig zu verstehen, dass die Nomenkonzepte Typen oder Klassen von Dingen im Fach darstellt, nicht jedoch die konkreten Instanzen dieser Klassen. Die Faktentypen beschreiben etwas, das man über die Beziehung zwischen Nomenkonzepten wissen kann, jedoch nicht über die Beziehung zwischen konkreten Ausprägungen der Konzepte.

Zusammenfassend kann man sagen, dass ein strukturiertes Fachvokabular Wissen über die von Prozessen bearbeiteten Geschäftsobjekte organisiert. Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung, um die Geschäftsprozesse sowie die sie steuernden Geschäftsregeln kohärent und eindeutig beschreiben zu können. Bildlich stellt Ronald Ross die Prozesse als Muskeln des menschlichen Körpers dar, die klare Ansatzpunkte bei den mit Hilfe von Bändern verbundenen Knochen haben; die Geschäftsregeln hingegen steuern die Prozesse analog dem Nervensystem, die in unserem Körper die Muskeln steuern.

geschäftsregeln

 

Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus dem Kurs Geschäftsprozess- und Entscheidungsmanagement mit OCEB von Digicomp.

 

Wählen Sie Ihr Prozessmanagement-Referat mit Serge Schiltz

 

Bestimmen Sie, welches Thema Serge Schiltz am 19. September 2018 in seinem Referat behandeln soll. Diese Themen stehen zur auswahl:

Wahre Agilität durch Trennung von Geschäftsprozessen und -regeln
Die Geschäftsprozesse einer Unternehmung sind seine Umsetzungskraft; Effizienz und Automatisierungsgrad sind zentral. Wenn aber die Geschäftsregeln, also die Regeln zur Steuerung des Geschäfts in den Prozessen und Systemen fest eingebaut sind, fehlt die Möglichkeit sich agil zu verändern.

Wie meinst Du das in Deinem Prozess? Mit einem Fachvokabular Klarheit schaffen.
Jedes Fach hat seine Begriffswelt, wobei es auch zwischen Unternehmen auch noch Unterschiede geben kann. Ohne Klarheit in Ihrem Fachvokabular schaffen Sie keine Transparenz in Geschäftsprozessen und -regeln. Allgemeine Verwirrung und widersprüchliche IT-Requirements sind die Folge.

BPMN, DMN und CMMN – Ja was denn, oder alles zusammen?
Hat Ihr Berater Ihnen auch schon gesagt, BPMN sei tot? Die Zukunft sei CMMN oder vielleicht auch DMN. Was bedeutet dies nun für Ihre Prozess- und IT-Landschaft?

Hier abstimmen

 

Bestimmen Sie, welches Thema Serge Schiltz am 19. September 2018 in seinem Referat behandeln soll. Diese Themen stehen zur auswahl:

Wahre Agilität durch Trennung von Geschäftsprozessen und -regeln
Die Geschäftsprozesse einer Unternehmung sind seine Umsetzungskraft; Effizienz und Automatisierungsgrad sind zentral. Wenn aber die Geschäftsregeln, also die Regeln zur Steuerung des Geschäfts in den Prozessen und Systemen fest eingebaut sind, fehlt die Möglichkeit sich agil zu verändern.

Wie meinst Du das in Deinem Prozess? Mit einem Fachvokabular Klarheit schaffen.
Jedes Fach hat seine Begriffswelt, wobei es auch zwischen Unternehmen auch noch Unterschiede geben kann. Ohne Klarheit in Ihrem Fachvokabular schaffen Sie keine Transparenz in Geschäftsprozessen und -regeln. Allgemeine Verwirrung und widersprüchliche IT-Requirements sind die Folge.

BPMN, DMN und CMMN – Ja was denn, oder alles zusammen?
Hat Ihr Berater Ihnen auch schon gesagt, BPMN sei tot? Die Zukunft sei CMMN oder vielleicht auch DMN. Was bedeutet dies nun für Ihre Prozess- und IT-Landschaft?

Hier abstimmen



Über den Autor

Serge Schiltz

Dr. Serge Schiltz ist Geschäftsführer der processCentric GmbH und hat über 20 Jahre Erfahrung im Projekt- und 15 Jahre Praxis im Geschäftsprozessmanagement. Der studierte Informatiker, Mathematiker, BWLer und Projektmanager ist zertifizierter «Project Management Professional» (PMP) sowie «OMG Certified Expert in BPM» (OCEB).