Lebenslanges Lernen – Wieso eigentlich?

Wie kann das Konzept des lebenslangen Lernens umgesetzt werden? Und in welchem Zusammenhang stehen da Unternehmen und demografischer Wandel? Diese Fragen beantwortet Alexandra Meures in diesem Beitrag.

Autor Alexandra Meures
Datum 21.10.2016
Lesezeit 11 Minuten

Als Mensch sind wir von der Geburt an darauf programmiert zu lernen. Ein Kind lernt täglich Neues und das mit Begeisterung – ständig werden neue Inputs gefordert. Und im Erwachsenenalter, nach Abschluss der Ausbildung, soll damit einfach fertig sein? Sind wir dann bereits «aus-gebildet»? Das Konzept des lebenslangen Lernens beantwortet diese Frage klar mit «Nein». Doch wie kann das überhaupt umgesetzt werden? Und in welchem Zusammenhang stehen da Unternehmen und demografischer Wandel?

Einige Aussagen zum lebenslangen Lernen, die ich schon oft gehört habe

«Lebenslanges Lernen – irgendwann ist doch der Kopf voll!»

100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen) verbinden sich ständig über abertausende von Synapsen, um Informationen durch Ihr Gehirn zu leiten. Alle Wahrnehmungen, Gedanken sowie Körperfunktionen werden von Ihrer Kommandozentrale aus gesteuert. Die Verbindungen der Synapsen sind mit einer Trillion quasi grenzenlos und auch die Speicherkapazität ist unglaublich hoch. Bildlich gesprochen beträgt die Gesamtlänge aller Nervenbahnen im Gehirn 5,8 Millionen km, was 145 Erdumrundungen entspricht. Auch die Speicherkapazität unseres Hirns ist beeindruckend: Während im gesamten Universum 1079 Elementarteilchen existieren, kann unser Gehirn 10150 Wahrnehmungs- und Bedeutungsinhalte speichern.

Aus Sicht Ihrer Gehirnkapazität steht lebenslangem Lernen also überhaupt nichts im Weg. Und dass das Hirn bis ins hohe Alter lernen kann, hat die Wissenschaft vor über zehn Jahren anhand der «Neuroplastizität» bewiesen.

«Woher soll die Motivation für lebenslanges Lernen kommen?»

Ist es die Entdeckerfreude, die Begeisterung und die Lust am Lernen, die Sie ständig dazu antreibt, Neues zu lernen? Oder fühlen Sie sich aufgrund der Schnelllebigkeit im beruflichen Umfeld dazu verpflichtet? Wie bereits erwähnt, kann unser Gehirn theoretisch unbegrenzt Wissen aufnehmen und auch verarbeiten – es hat daran nur eine kleine Anforderung gekoppelt: positive Emotionen! Wir müssen es also wollen und wir brauchen dazu ein Motiv! Dies sind Ziele, für die es sich lohnt, den Aufwand zu betreiben.

«Der Geist ist kein Gefäss, das gefüllt, sondern ein Feuer, dass entfacht werden will.» Plutach

«Lebenslanges Lernen – bringt das wirklich etwas?»

Ja. Die ständige und intensive Nutzung Ihres Potenzials ist sogar gesundheitsfördernd, wie Wissenschaftler herausfanden. Demenz tritt umso weniger bzw. um ein Vielfaches später auf, je aktiver das Gehirn bis ins hohe Alter gefordert wird.

Auch das betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) setzt auf die positiven Resultate des Lernens. Unternehmen, die BGM-zertifiziert sind, müssen z.B. eine bestimmt Anzahl an Weiterbildungsaktivitäten anbieten für Ihre Mitarbeitenden. Einen besonders hohen gesundheitlichen Wert haben Kurse, die der Stressreduktion dienen, dazu zählen neben Mentalprogrammen auch Weiterbildungen zur Resilienzsteigerung, zur wertschätzenden Kommunikation, Sozialkompetenz und zu Konfliktmanagement. Auch informative bzw. interaktive Kurse zu gesunder Ernährung und Bewegung haben einen grossen Einfluss auf die psychische Gesundheit.


Definition: Lebenslanges lernen (LLL)

Für die Schweiz hat das Bundesamt für Statistik eine LLL-Definition gewählt, die sich auf mehrere nationale und internationale Vergleiche – der UNESCO, OECD und des Eurostat – bezieht. Die Themen Weiterbildung und lebenslanges Lernen werden in drei Bereiche gegliedert.

  1. Die formale Bildung umfasst die Grund- und Ausbildung, die innerhalb des nationalen Bildungssystems der Schulen, Berufsbildung (Sek II) und Tertiärbildung (höhere Berufsbildung, Hochschulabschlüsse oder Doktorate) stattfindet.
  2. Die nicht-formale Bildung umfasst die Lernaktivitäten im Rahmen einer Schüler-Lehrer-Beziehung ausserhalb des formalen Bildungssystems. Dazu gehören beispielsweise Kurse und Seminare (auch über digitale Lernmedien), Kongresse oder Privatunterricht.
  3. Das informelle Lernen umfasst Aktivitäten, die explizit einem Lernziel dienen, aber ausserhalb einer Lernbeziehung stattfinden. Dabei handelt es sich beispielsweise um das Lesen von Fachliteratur oder das Lernen von anderen Personen am Arbeitsplatz.

Somit lernt ein Grossteil der Berufstätigen täglich informell und lebenslang. Dies ist auch in unserem Alltag der Fall. In der heutigen «Anytime, Anywhere»-Zeit, in der Wissen nur einen Fingertipp auf der Tastatur jedes internetfähigen Geräts entfernt ist, informieren wir uns bei Bedarf zu Themen, die uns interessieren.

Auch in puncto Weiterbildung sind Herr und Frau Schweizer sehr aktiv. 77% der Schweizer Wohnbevölkerung im Alter von 25 bis 64 Jahren besucht mindestens eine Weiterbildung im Jahr. 53% orientierten sich an nicht-formaler, beruflicher Bildung, 26% sind ausserberuflich orientiert.

Quelle: Bundesamt für Statistik, Mikrozensus Aus- und Weiterbildung 2011. Stand: April 2013


Weiterbildung & lebenslanges Lernen in Unternehmen

Da Sie diesen Beitrag im Blog von Digicomp – dem Anbieter für betriebliche Weiterbildung – lesen, stehen Sie wohl mitten im Arbeitsleben. Dabei haben Sie sicherlich bereits erkannt, dass Änderungen auf Sie zukommen und Sie sich ständig weiterentwickeln müssen. Während Unternehmen in der letzten Dekade mittel- bis langfristige Strategien noch für 3 bis 10 Jahre erstellte, ist die heutige Langfristigkeit meist bei einem Jahr angekommen, dies mit reichlich Flexibilität für quartalsweise und monatliche Anpassungen. Ein persönlicher Weiterbildungs- und Lern-Stillstand ist unter diesen Umständen also quasi gar nicht möglich.

Vor zehn Jahren gab mehr als ein Drittel aller Schweizer KMU kein Geld für Weiterbildung aus. Hier hat in den letzten Jahren ein Umdenken stattgefunden. Die Schweiz gehört, zusammen mit Schweden und Österreich, zu den europäischen Ländern mit dem höchsten Anteil an weiterbildungsaktiven Unternehmen. Die Wirtschaft hat klar erkannt, dass es sich hierbei nicht um einen Kostenfaktor, sondern um eine Investition in die Zukunft des Unternehmens handelt. Bis zu ein Prozent der gesamten Personalausgaben werden durchschnittlich für Weiterbildungskurse ausgegeben. Die Weiterbildungsangebote müssen dabei praxisbezogen und zeitlich möglichst flexibel sein.

Lebenslanges Lernen 4.0 – Lernen im demografischen Wandel

Angekommen in der Wissensgesellschaft, in der uns «der Wind des Wandels» immer schneller vorwärts treibt, sind auch in den nächsten Jahren wieder rasante und prägnante Veränderungen in Sicht, die vielerorts ein Umdenken, jedoch vor allem ein ganz neues Weiterdenken, bedürfen.

Die Generation 50+ hat im Jahr 2015 erstmals den grössten Anteil der arbeitenden Gesellschaft der DACH-Länder ausgemacht. Gleichzeitig wächst die Agilität in der Berufswelt, was ein lebenslanges Lernen, zumindest während der gesamten Berufszeit, zwingend mit sich bringt.

Dies zeigt auch das aktuelle Thema des Weltwirtschaftsforums (WEF) mit dem Titel: «The Future of Jobs». Gemäss der im Januar erschienen Studie rechnet man bis 2020 in den 15 bedeutendsten Industriestaaten und Schwellenländern mit einem Verlust von 7,1 Mio. Stellen – bei einer gleichzeitigen Schaffung von etwa 2 Mio. neuen Stellen2. Dieser Wegfall von 5 Mio. Arbeitsplätzen ist nicht nur auf die demografischen Veränderungen, sondern auch auf die um sich greifende technologische Automation und die Flexibilisierung zurückzuführen. Das sich die Arbeitswelt von Morgen anders gestalten wird und muss, wird immer mehr spürbar.

Der Philosoph Richard David Precht hat bereits 2013 darauf hingewiesen3, dass die Kinder, die derzeit eingeschult werden, beim Eintritt ins Berufsleben wahrscheinlich 60 bis 70 % andere Berufe vorfinden, als jene Berufe, die heute existieren. Dies betrifft besonders den quartären Sektor. Precht setzt sich deshalb für ein neues Bildungssystem ein, das in die Richtung geht, «ein neues Schulsystem auf der grünen Wiese neu zu erfinden».

So kann «Lernen für Morgen» funktionieren

Viele Menschen und Bildungsinstitute sind sich einig: Es braucht ein entsprechendes neues System, in dem es nicht mehr um die reine Wissensvermittlung geht, sondern darum, dass Lehrperson oder Trainer als Coach zur Verfügung stehen. Sie sollen das kreative WIE des Lernens, den effiziente Wissenstransfer-Prozess, vermitteln. Das WAS ergibt sich bereits aus den Anforderungen von Morgen.

Diese neuen Lernformen kommen nicht nur der Wirtschaft zugute, sondern auch den lernenden Generationen. Dabei ist Lernen keinesfalls nur eine Sache der Jugend. Lernen in neuen Formaten kennt keine Altersgrenzen, denn wer an die Länder mit gesunder Demografie – u.a. Indien, China, USA – denkt, weiss, dass lebenslanges Lernen zur Erhaltung unserer Wirtschaft bereits zum Muss geworden ist. Alleine aus diesem Grund ist die Orientierung hin zu möglichst prüfungsfreien und damit stressfreien Lernformaten, die begeistern und Freude am Lernen auslösen, unumgänglich.

Die Grundlage im Lernprozess

Damit die jungen Generationen den stetig wachsenden Ansprüchen im Berufsleben gerecht werden können, geht es nicht nur darum, spezifische Fachkenntnisse zu erlangen. Flache sowie sich auflösende Hierarchien bewirken eine neue berufliche Gemeinschaft, in der der Umgang miteinander eine zunehmende Sozialkompetenz erfordert.

Die persönlichen «Softskills» und die «Connectivity» untereinander werden einen noch grössen Stellenwert einnehmen. Auch beruhen die Organisationsformen der Soziokratie und Holakratie auf diesen Skills.

Der Zukunftsforscher Matthias Horx hatte bereits 2008 zu einem zwingenden pädagogischen Systemwandel hin zu Individualisierungsprozessen geraten. Er benannte dabei den Begriff «Selfness», der dem altbürgerlichen Ansatz, der Kunst der Selbsterkenntnis und Selbstveränderung, zugrunde liegt. Horx sagt: «Was Menschen in Zukunft vor allen Dingen brauchen, ist die Möglichkeit, sich selbst zu verstehen und zu reflektieren, um sich als Individuum verändern zu können.» So können Sie u.a. auch die Selbstverantwortung für selbstbestimmtes und selbstständiges Lernen (in freien Formaten) übernehmen.

Diese geistige Flexibilität ist eine der wichtigsten Grundlagen für jedes Bildungs- sowie auch Changemanagement und damit Antrieb für die Arbeitswelt von Morgen.

Die beste Investition ist jene in uns selbst

Wer in sich selbst investiert, steigert seinen Arbeitsmarktwert und vor allem und im Besonderen, seinen Selbstwert. Es bringt Freude, etwas umzusetzen und seine Fähigkeiten entsprechend einbringen zu können. Dass Sie es können, wurde Ihnen bereits in die Wiege gelegt. Die Frage ist nur, wie viele Ihrer neuronalen Fähigkeiten Sie bereits aktiviert haben.

Das Fazit zum lebenslangem Lernen liefert Wilhelm Busch

«… also lautet mein Beschluss, das der Mensch was lernen muss, lernen kann man Gott sei Dank, auch sein Leben lang.» (von Wilhelm Busch, geschrieben vor ca. 150 Jahren)


Über den Autor

Alexandra Meures

Während ihrer 20-jährigen Führungs- und Managementlaufbahn war Alexandra Meures für mehre internationale Firmen im Auf- und Ausbau neuer Geschäftsbereiche zuständig. Ihr lösungsorientiertes, unternehmerisch-soziales Denken und Handeln setzte sie besonders in der Verbindung der Verhältnis- und Verhaltensoptimierung für Mitarbeitende und Unternehmen ein. Dazu zählten u.a. Struktur- und Prozessentwicklung sowie der Aufbau neuer Abteilungen in Gründungs- und Veränderungsphasen. Nicht zuletzt durch ihre internationale Erfahrung mit wertschätzender Arbeitskultur und achtsamer Kommunikation ist sie heute als Consultant und Trainerin im betrieblichen Gesundheitsmanagement tätig. Dies inklusive Analyse, Budgetierung, Entwicklung und Begleitung in der Umsetzung. Qualifizierungen: Executive International MBA, Coach, Trainerin, Gesundheitsberaterin, betriebliche Gesundheitsmanagerin, auch auf Basis «Friendly Workspace» (Label Gesundheitsförderung Schweiz).