Interview: Sam Steiner über die Zukunft von Facebook

Autor Administrator
Datum 09.11.2012
Lesezeit 7 Minuten


Sam Steiner ist Experte im Bereich Online-Plattformen und betreibt unter anderem Facebook-Seiten mit über 400’000 Fans. Seine Social Media Agentur alike bietet Unternehmen geeignete Strategien, die für das heutige und zukünftige Web umzusetzen sind. Er referiert bei SOMEXCLOUD in den Lehrgängen Social Media für EinsteigerSocial Media Manager und Community Management zum Thema Facebook.

SOMEXCLOUD: Erläutere uns doch kurz aus deiner Sicht den aktuellen Stand von Facebook auf dem Markt der sozialen Netzwerke.
Sam Steiner: Facebook ist der Platzhirsch auf dem Markt. Keine andere Plattform hat die gleiche Reichweite und Facebook ist ständig daran, Veränderungen im Nutzerverhalten auszuwerten und entsprechend darauf zu reagieren.

Kritiker vergleichen Facebook häufig mit MySpace – der vergessenen ehemaligen Nummer 1. Meiner Ansicht nach ist es jedoch ein Fehler, die beiden Plattformen direkt miteinander zu vergleichen, denn Facebook macht andere Fehler als MySpace damals. Natürlich besitzen beide Plattformen eine gewisse Halbwertszeit. Man muss jedoch bedenken, dass Plattformen kommen und gehen  – daran müssen wir uns gewöhnen und mit diesem Wissen im Hinterkopf, die wichtigsten Netzwerke trotzdem effektiv nutzen.

Medienberichten zufolge gehen Facebook immer mehr junge Nutzer verloren. In der Schweiz sollen es im letzten Quartal knapp 10% der 13- bis 15-Jährigen gewesen sein, in den USA sieht es nicht anders aus. Wie erklärst du dir das? Ganz einfach, das Social Web ist “normal“ geworden. Nicht die einzelnen Plattformen, sondern das neue Web – ein interaktiver Ort – dominiert. Es würde wohl niemand behaupten, dass Menschen aller Altersgruppen heute weniger online kommunizieren, als vor zwei Jahren. Die Statistiken beziehen sich auf eine einzelne Plattform – hier Facebook. Die Zahlen zeigen Folgendes: die Online-Welt ist bunter, vielfältiger und vielleicht erwachsener geworden. Es dreht sich nicht mehr alles nur um Facebook.

Sind diese Entwicklungen für Facebook problematisch?
Ja, denn Facebook selbst steht vor grösseren Herausforderungen als beispielsweise vor zwei Jahren. Einerseits ringt Facebook mit “Altlasten” und andererseits mit dem mobilen Web. Die Plattform hat sich über Jahre Stück für Stück entwickelt und ist heute ein riesiges, investorenabhängiges Unternehmen geworden. Dies hat dazu geführt, dass die vielen Updates und neuen Funktionen, welche im Laufe der Zeit dazugekommen sind, die Benutzer zunehmend verwirrt haben. Verglichen mit Facebook ist das junge Google+ viel schneller erlernbar.

Was die Mobilität betrifft, so bewegen wir uns auf eine Zeit zu, in der wir zu einem sehr grossen Teil mobil arbeiten werden. Das Schreiben von Artikeln oder Rechnungen, das Geben von Interviews oder das Bearbeiten von Präsentationen läuft bei mir immer mehr über das Smartphone oder das Tablet ab. Facebook-Geschichten sind Erlebnisse, Fotos und Videos, die entstehen mobil – unterwegs. Facebook kommt aus einem anderen Zeitalter und hat “mobil“ nicht in der DNA. Die Plattform hat allerdings Geld, entsprechende Entwickler-Teams aufzukaufen, was sie zurzeit auch gerne tut.

Welche Konsequenzen rechnest du dem problematischen Börsengang zu?
Der Börsengang war nicht primär für Facebook problematisch, sondern für die Investoren – vor allem für diejenigen, die den schnellen Gewinn erwarteten. Ich habe die Dot-Com-Blase hautnah erlebt und habe kein Mitleid mit diesen Investoren.

Welche Konsequenz ich allerdings direkt dem Börsengang zuordne, ist das Zurückkrebsen von Facebook im Bereich der Kundenstimmen. Die Kunden von Facebook haben seit Frühjahr 2012 keine Stimme mehr. Wer sich heute eine Fanseite anschaut, sieht nur noch Meldungen des Unternehmens und keine Fanbeiträge mehr. Das ist eine massive Zurückstufung von User Generated Content und meiner Meinung nach ein grosser Rückschritt von Facebook. Zwar geht für die Unternehmenseiten das Shitstorm-Risiko praktisch auf Null zurück, doch gleichzeitig geht die Community der Fans, welche die Seiten beleben, verloren. Das ist sehr schade.

Was sollte Facebook unternehmen, um weiterhin die Nummer 1 zu bleiben?
Meiner Meinung nach müsste Facebook einen kompletten Relaunch durchführen. Nach dem ersten Schock für die Nutzer würde dies eine stabilere Basis für die Zukunft bringen. Dieser Relaunch müsste aus den oben erwähnten Gründen auch zwingend den neuen Ansprüchen des mobilen Webs gerecht werden.

Bezüglich der Fanseiten sollte Facebook die Einschränkungen der Kundenstimmen aufheben, damit ein wirklicher Austausch zwischen Unternehmen und Interessierten möglich wird. So hätten die Unternehmen auch bessere Möglichkeiten, ihre Fans kennen zu lernen. Gegenwärtig verfügt Facebook für Unternehmen durch seine immense Grösse noch einen hohen Nutzen – hier besteht jedoch grosses Ausbaupotenzial, da die Funktionalitäten für Unternehmen zurzeit eher dürftig sind. Das Kreise-System in Google+ geht da schon einen wichtigen Schritt weiter – man kann Kundengruppen erstellen und personalisierter kommunizieren. In anderen Punkten und natürlich bezüglich der Nutzermasse hinkt Google+ noch hinterher – wächst aber, im Gegensatz zu Facebook, stark.

Welche Plattform könnte Facebook den Rang streitig machen?
Für die private Kommunikation gibt es ausser dem Offline-Bereich keine Konkurrenz. Für Unternehmen sehe ich wie erwähnt in Google+ grosses Potenzial. Ansonsten gibt es meiner Meinung nach noch viel Platz für verschiedene Plattformen – wenn sie unterschiedliche Zwecke erfüllen. Ich persönlich bin sehr gerne Mitglied von Twitter, Facebook, Google+, Pinterest, Youtube, Slideshare, LinkedIn, Instagram und Quora. Und dies zu ganz unterschiedlichen Zwecken.

In welcher Form wird Facebook in Zukunft genutzt werden?
Chat, Fotos, Games, Videos – je nach Nutzergeneration – und Unterhaltung und Socialising in erweiterten Freundeskreisen. Und wenn es Facebook mit den Unternehmensseiten nicht verbockt, haben Interaktionen mit hilfreichen Inhalten und spannenden Stories für die Unternehmen ein riesiges, virales Potenzial.


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